Umweltzentren für Suffizienz und Postwachstum

Innerhalb des Projekts „Umweltzentren für Suffizienz und Postwachstum“ möchte der ANU Bundesverband bisherige Bildungsansätze zu suffizienz-orientierten Lebensstilen mit den Themen Wirtschaft und Postwachstum verbinden. Beispielhaft soll dabei anhand bestehender Bildungsmethoden und -formate in ländlichen Umweltzentren aufgezeigt werden, wie diese Themen in bestehende Bildungsprogramme integriert werden können. Julia Pesch, Referentin des Projektes, berichtet uns von den ersten Erfahrungen.

Liebe Julia, momentan beschäftigt sich die ANU auf Bundesebene verstärkt mit Postwachstum und Wachstumskritik. Warum ist Bildungsarbeit dazu nötig?
In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass wir bereits mitten in der Klimakrise stecken und weitere planetare Grenzen in den Dimensionen der Biodiversität und des Stickstoffkreislaufs schon deutlich überschritten sind. Dies hat auch massive Auswirkungen auf Menschen auf der ganzen Welt, insbesondere im Globalen Süden. Die Lebensgrundlage vieler Menschen wird derzeit Stück für Stück zerstört, was sich zum Beispiel durch eine bedrohte Lebensmittelversorgung oder die Verbreitung von Krankheiten zeigt. Zeitgleich sind Menschenrechtsverletzungen entlang der allermeisten Lieferketten von Produkten, die hier im Globalen Norden verbraucht werden, an der Tagesordnung. Viele dieser Aspekte werden heute schon in der Bildungsarbeit von Umweltzentren aufgegriffen und mit (individuellen) Handlungsmöglichkeiten verknüpft. So wird das Thema Suffizienz z.B. häufig im Rahmen des Bereichs „Nachhaltige Lebensstile“ aufgegriffen. Zur sozial-ökologischen Transformation und transformativer Bildung gehört es aber auch, strukturelle Ursachen dieser Probleme zu beleuchten und Wege des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels zu beleuchten.

Genau an dieser Stelle setzt unser derzeitiges ANU-Projekt „Umweltzentren für Suffizienz und Postwachstum“ an: Wenn wir uns mit strukturellen Ursachen der beschriebenen Probleme beschäftigen, kommen wir nicht darum herum, unser derzeitiges Wirtschaftssystem, das massiv auf unendliches Wachstum ausgerichtet ist, kritisch in den Blick zu nehmen und nach Alternativen zu suchen. Das herrschende, häufig unhinterfragte Wachstumsparadigma macht eine kritische Auseinandersetzung jedoch oft schwer. Wir haben außerdem festgestellt, dass Wissen zu diesen Themen sehr komplex und vielen Umweltbildner*innen nicht zugänglich ist. Und es stellt sich die Frage, mit welchen Bildungsmethoden die komplexen Themen Wachstum(skritik) und Postwachstum aufgegriffen werden können. Das Projekt zielt deshalb darauf ab, zu zwei Themenbereichen wirtschaftliche Hintergründe aufzuzeigen sowie Bildungsmethoden und -formate zu erproben und zu diskutieren, mit denen Suffizienz und Postwachstum in bestehende Bildungsprogramme von Umweltzentren eingebaut werden können.

Viele Umweltzentren liegen eher im länd-lichen Raum. Wie lässt sich das Thema dort behandeln, welche Anknüpfungs-punkte an Postwachstum gibt es da?
Wir haben uns überlegt, wie man ein so abstraktes Thema gut in Programme von Umweltzentren integrieren kann. Aus unserer Sicht ist dies gut anhand konkreter Themen möglich, die in Umweltzentren schon bearbeitet werden. Das gilt natürlich nicht nur für den ländlichen, sondern auch für den städtischen Raum. Unser Fokus liegt jedoch auf ländlichen Umweltzentren. Dort haben wir zwei häufig behandelte Bereiche gefunden, die auch gute Anknüpfungspunkte für die wirtschaftliche Perspektive bieten: Ernährung und Landwirtschaft sowie Konsum und Ressourcen mit Fokus auf Wald und Holz. Dazu haben wir dann passende Bildungsmethoden, wie z.B. die Tomatenralley vom Konzeptwerk Neue Ökonomie, identifiziert und sie in einer Fortbildung gemeinsam mit Umweltbildner*innen erprobt und diskutiert. Im Anschluss wurden von den Teilnehmenden Ideen für Veranstaltungskonzepte entwickelt, die exemplarisch die Themen Suffizienz, Wachstumskritik und Postwachstum miteinander verbinden.

Welche Herausforderungen sind euch denn bisher bei der Umsetzung von Bildung zu dem Themenbereich begegnet und zu welchen noch offenen Fragen werdet ihr weiterarbeiten?
Erstens ist die beschriebene Komplexität sicherlich eine besondere Herausforderung. Die derzeit geführten Diskussionen rund um Postwachstum und Wachstumskritik setzen häufig ein umfassendes Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge voraus. Und das spiegelt sich auch darin wider, ob und wie diese Themen in Bildungsprogrammen aufgegriffen werden (können). Viele Methoden richten sich hauptsächlich an ältere Zielgruppen mit (wirtschaftlichen) Vorkenntnissen und setzen von Seiten der Pädagog*innen oft ebenfalls ein großes Vorwissen voraus. Wir haben diese Herausforderung in unserem Projekt behandelt. Wie Bildungsangebote und besonders praktische, emotional-sinnliche Methoden zu Postwachstum und Wachstum(skritik) auch für jüngere Zielgruppen oder Menschen ohne Vorkenntnisse aussehen können, bleibt aber ein offenes Diskussions- und Arbeitsfeld.

Eine zweite Herausforderung aus Umweltbildungssicht ist die geringe Verfügbarkeit von Einstiegs-Literatur zum Thema. Das macht es schwer, verständliche Informationen zu finden, die z.B. Pro und Contra von Wachstum gegenüberstellen. Da das Thema Wachstum(skritik) eine zentrale Konfliktlinie innerhalb unserer Gesellschaft darstellt, sollten im Sinne des Beutelsbacher Konsenses in der Bildungsarbeit beide Seiten dargestellt werden. Die Teilnehmenden sollten so in die Lage versetzt werden, bestehende Positionen zu hinterfragen und sich selbst eine Meinung zu bilden. Wie eine Balance gefunden und den Teilnehmenden von Bildungsveranstaltungen durch eine ergebnisoffene Diskussion die Werkzeuge in die Hand gegeben werden können, auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu dem Thema eigenständig Position zu beziehen, ist ein weiteres spannendes Arbeits- und Diskussionsfeld.

Kontakt:
Julia Pesch, ANU Bundesverband e.V.
peschanude, www.umweltbildung.de