Mit Geschichten die Welt verändern

„Erlerne die Wissenschaft der Kunst. Und die Kunst der Wissenschaft. Stärke deine Sinne – lerne Sehen. Erkenne, dass alles mit allem zusammenhängt.”
(Leonardo Da Vinci † 2. Mai 1519)

Leonardo hätte das Mobiltelefon als Erweiterung der Sinne, als Zauberwerkzeug, um Zusammenhänge in Bildergeschichten zu verwandeln und endlich von seinen Zeitgenossen verstanden zu werden, sicher begeistert begrüßt. Heute, 500 Jahre später, kann jedes Kind damit zum Forscher, Storyteller und Filmemacher werden. Doch wie können wir Narrative und die „Power of Storytelling“ nutzen, um Geschichte durch Geschichten im Sinne der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu verändern?

Ein Beispiel aus der Praxis: An der Hochschule Darmstadt sollen Studierende inspiriert durch eine Vorlesungsreihe Vorschläge machen, wie die Stadt ressourceneffizienter werden kann. Insgesamt acht Teams beginnen nach einer kurzen Einführung damit, ihre Ideen in Filme zu verwandeln. Innerhalb kurzer Zeit werden aus Filmlaien engagierte Geschichtener-zähler*innen. Eine Gruppe kombiniert dabei Spielszenen, animierte Grafiken, Interviews und dokumentarische Passagen zur Geschichte eines Möbelstücks, welches statt auf dem Sperrmüll in der Wohnung eines glücklichen Studentens landet so überzeugend, dass der Oberbürgermeister bei der Premiere begeistert eine Umsetzung zusagt (www.vimeo.com/255816789).

Hier verbinden sich mehrere Stränge zu einer transformativen Erfolgsgeschichte: Da ist zum einen die Geschichte eines Möbelstücks, das nach einigen Jahren Abnutzung zum Abfall erklärt werden soll. Die Filmer*innen haben sich mit dem Thema Sperrmüll genauer beschäftigt und die Ressourcenkosten berechnet: Allein durch Möbelupcycling könnten jährlich 1500 Bäume eingespart werden. Sie machen daraus einen Vorschlag zur Verlängerung der Lebensdauer der Möbel und binden zum anderen die Mitarbeiter*innen der Müllabfuhr durch Interviews geschickt mit ein. So kann der Oberbürgermeister mit dem Film sowohl die Stadtverordneten als auch seine Behördenmitarbeiter*innen für das Thema gewinnen.

Ein weiteres Beispiel aus Luxemburg zeigt, wie eine gute Geschichte die Selbstwirksamkeit der Handelnden verstärken kann. Einer Gruppe von 6 bis 8- jährigen Pfadfinder*innen gefällt es nicht, dass so viele Autos unterwegs sind und sie alle einzeln zum Treffen gefahren werden. Also erfinden sie eine Carsharing-Szene mit 15 Kindern, die aus einem Kleinwagen aussteigen, und verfilmen diese mit großem Spaß mit einem iPad (www.vimeo.com/283744323). Damit konnten sie nicht nur ihre Eltern zu Fahrgemeinschaften zusammenbringen, sondern hatten damit sogar auf Filmfestivals Erfolg.

Jede Geschichte folgt, verstärkt durch die Bilder, einem einfachen und ansprechenden Dreischritt von UND – ABER – DESHALB.  Dies funktioniert so: Im UND-Land beschreibt man die Ausgangssituation, z.B. die Allgegenwart von Autos. ABER dann kommt die kindliche Perspektive hinzu, die Autos bedrohlich und unpraktisch findet. Bei der Erkundung des ABER-Lands reflektieren Kinder auf der Suche nach einem Kompromiss mit der Erwachsenenwelt ihre eigenen Bewegungswünsche wie Laufen, Roller- oder Fahrradfahren. DESHALB ist das Ergebnis des kreativen Überlegens, gemeinsam zu fahren und damit weniger Autoverkehr zu produzieren. Daraus leitet sich unmittelbar die Handlung ab, auf die Eltern einzuwirken und Fahrgemeinschaften zu bilden – mit Erfolg!

Die Kraft von Geschichten wird überall in Politik und Wirtschaft, z.B. bei Kampagnen genutzt. Neu ist, sie auch für BNE zu verwenden. Als die SDGs 2015 von über 190 Staaten beschlossen wurden, gehörte dazu auch die Verpflichtung, diese in die nationalen Bildungssysteme zu integrieren. Deren vertikale Fächerstrukturen haben sich aber als äußerst resistent erwiesen, Erkenntnis und Gefühl, Raum und Zeit, Sinn und Zusammenhang, Künste und Zukünfte zuzulassen und damit dem Einzelnen mehr Verantwortung für sein Lernen und Handeln zu geben.

In Luxemburg fiel die Idee, über ko-kreative Filmgeschichten Zusammenhänge begreif- und veränderbar zu machen, auf besonders fruchtbaren Boden. Unter dem Namen Youth4planet wird dort seit zwei Jahren prozess- und projektorientiertes Lernen durch Filmemachen vom Umweltministerium gefördert. Durch konsequente Integration der Schulen gelang es, immer mehr Schüler*innen für diese Art von Zusammenhangslernen zu existenziellen Zukunftsthemen zu begeistern. Mehrere hundert solcher Filmprozesse, von denen manche nur einen Tag oder eine Woche dauerten, andere über mehrere Wochen liefen, wurden mit zum Teil herausragenden Ergebnissen abgeschlossen. Zu sehen sind die Filme lokal in den Schulen und Gemeinden, aber auch auf einem jährlichen Event und sogar auf Jugendfilmfestivals in Deutschland, Frankreich oder Belgien. Der Erfolg führt vielfach zu Kooperationen mit anderen Organisationen, die Themen wie Fairtrade, Mülltrennung oder Rassismus einbringen. Youth4planet unterstützt die Lehrenden durch Coaching bei der Gestaltung der Filmprozesse. Zusätzlich werden junge Filmemacher*innen zu Peer-Teachern ausgebildet, um selbst Filmpro-zesse zu begleiten.

Filme, die alle Künste zusammenbringen, können für neue Ideen begeistern. Viele Menschen reagieren mit Angst auf eine ungewisse Zukunft. Das hält sie da fest, wo sie sind. Doch wenn phantasievolle junge Menschen ihnen mit starken, positiven Bildern zeigen, wie wir trotz Krisen auf der Erde gut leben können, kann ihnen das Hoffnung und auch Lust machen, die Zukunft mitzugestalten. Ganz im Sinne Leonardos, der zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik immer nur die Zusammenhänge gesucht hat, um sie im Sinne des Ganzen zu nutzen.

Kontakt:
Joerg Altekruse
Youth4planet e.V.allmailyouth4planetorg
allmailyouth4planetorg

www.youth4planet.org

Joerg Altekruse ist Filmemacher, Produzent und wurde durch seine 6-teilige TV-Serie zum Klimawandel zur Gründung von Youth4planet inspiriert.