4. Fachtag

Mit Naturerfahrungen AUF!blühen - Kinder und Jugendliche in Krisen begleiten

Fachtag, 20. September 2022, Frankfurt am Main, Tagungszentrum Ka Eins

Pandemiebedingt hatten viele Kinder und Jugendliche mit Einschränkungen im Kita- und Schulbetrieb, bei Freizeit- und Unterstützungsangeboten, Kontakten oder mit angespannten Alltagssituationen zu kämpfen. Folgen sind Lernrückstände, psychosozialen Belastungen und Bewegungsmangel. Dabei sind insbesondere Kinder und Jugendliche in Risikolagen betroffen. Naturerfahrungen haben ein großes Potenzial, Kinder und Jugendliche zu stärken und zu entlasten. Sie können sich in vielerlei Hinsicht positiv auf die Entwicklung, die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken. Bildungsangebote sollten Naturerfahrungen auch in Zukunft zielgerichtet und entlang der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen fördern. Im Rahmen des Fachtags gaben Expert*innen Einblicke in aktuelle Forschungsergebnisse aus Erziehungswissenschaften, Psychomotorik und Psychologie sowie Hinweise für wirksame pädagogische Konzepte.

Programm

09:30  Begrüßung und Ankommen
10:00 Gutes Leben und gute Orte. Zum Einfluss von Naturerfahrungen auf Wohlbefinden und Gesundheit
Vortrag und Diskussion - Prof. Dr. Ulrich Gebhard, Universität Bielefeld
11:00 Wirkfaktor Natur - Effekte von Naturerfahrungen auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
Vortrag und Diskussion - Dr. Thorsten Späker, Universität Marburg
12:00   Pause
12:20 Was wir aus der Psychologie für den Umgang mit Krisen in der Bildungspraxis lernen können
Vortrag und Diskussion - Ruth Habermehl, Diplom-Psychologin
13:00 Mittagspause
14:00 Über Natur ins Nachdenken kommen - Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen
Workshop – Nila Schlenker, Akademie für Philosophische Bildung und WerteDialog
16:00  Ende der Veranstaltung

Dokumentation

Gutes Leben und gute Orte. Zum Einfluss von Naturerfahrungen auf Wohlbefinden und Gesundheit – Prof. Dr. Ulrich Gebhard

In seinem Vortrag leitete Prof. Dr. Ulrich Gebhard zunächst theoretisch anhand eines dreidimensionalen Persönlichkeitsmodells her, inwiefern neben Beziehungen zu Menschen auch Beziehungen zur nichtmenschlichen Umwelt, wie Natur, Landschaften, Orte und Gegenstände wichtig für das Wohlbefinden und die psychische Entwicklung von Menschen sind. Im zweiten Teil stellte er empirische Befunde dar, inwieweit sich Naturerfahrungen positiv auf die körperliche und seelische Gesundheit auswirken. Dabei spielen insbesondere auch die symbolische Bedeutung und Ästhetik der Natur eine wichtige Rolle.

Zusammengefasst bieten Naturerfahrungen gute Bedingungen dafür:

  1. die eigenen Ressourcen zu entfalten

  2. die Persönlichkeit zu entwickeln (nur wenn es in einer Atmosphäre von Freiheit, Abenteuer und Freizügigkeit geschieht)

  3. Glück, Gesundheit, Wohlbefinden zu fördern

  4. den eigenen Körper zu spüren

  5. eine Beziehung zu sich selbst zu bekommen

  6. das eigene Leben als ein Sinnvolles zu interpretieren

Wirkfaktor Natur – Effekte von Naturerfahrungen auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – Dr. Thorsten Späker

  1. In seinem Vortrag stellte Dr. Thorsten Späker anhand empirischer Studien vor, wie sich Naturerfahrungen auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirken. Dabei setzte er Schwerpunkte 1.) auf die Entwicklungsbereiche Körper, Bewegung und Wahrnehmung, 2.) auf den psychosozialen Entwicklungsbereich und 3.) auf Naturerfahrungen im Jugendalter:
  2. Natur wirkt sich in Form von Mikroflora, UV-Strahlung, Tageslicht, Luftqualität und thermische Bedingungen auf die Gesundheit von Menschen aus und kann so je nach Dosierung positive Effekte auf Immunsystem, Stoffwechsel- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Durch Bewegung in der Natur werden koordinative und motorische Fertigkeiten permanent gefördert (z.B. beim Rennen, Rutschen, Klettern, Springen und Balancieren) und dadurch variable Bewegungsmuster ausgebildet werden. So wirkt sich der Aufenthalt von Kindern im Waldkindergarten etwa positiv auf Körperkoordination, Kraft und Geschicklichkeit aus. Gleichzeitig steigert vegetationsreiches naturnahes Außengelände die Bewegungsaktivität von Schüler*innen und Aktivitäten im Grünen verringern ADHS-Symptome. Eine achtsame Naturwahrnehmung ist die Brücke zum „Hier und Jetzt“, schärft das Bewusstsein, führt zu geistiger Klarheit und vergrößert das Wohlbefinden. Über eine vielgestaltige Interaktion mit der Umwelt über die Sinneswahrnehmung wird eine aktivierende Wirkung erzeugt: Die Wahrnehmung der Umwelt und von sich selbst wird sensibler und aufmerksamer.
  3. Die abwechslungsreiche Spielumgebung und die besondere Raumatmosphäre, die Kinder und Jugendliche beim freien Spielen in der Natur erfahren, ermöglichen einen freudigen und mühelosen zwischenmenschlichen Kontakt. Ständig neue Herausforderungen führen zur Notwendigkeit von sozialen Interaktionen und Kommunikation. Dies wirkt sich positiv auf den psychosozialen Entwicklungsbereich aus.
  4. Naturbesuche im Kindesalter führen zu einer vergleichsweise starken Beziehung zur Natur im Erwachsenenalter. Im Jugendalter scheint die Naturverbundenheit aber vorrübergehend abzunehmen. In dieser Phase müssen Naturerfahrungen mit anderen relevanten Entwicklungsthemen vereinbar sein.

Was wir aus der Psychologie für den Umgang mit Krisen in der Bildungspraxis lernen können – Ruth Habermehl

Resilienz kann als erfolgreiche Anpassung an schwierige oder herausfordernde Lebenserfahrungen, durch mentale, emotionale und verhaltensmäßige Flexibilität verstanden werden.
Resilienz hängt maßgeblich davon ab 1.) wie man seine Mitwelt sieht und sich mit ihr auseinandersetzt, 2.) welche Ressourcen und 3.) welche Bewältigungsstrategien man hast. Sie kann auf all diesen Ebenen beeinflusst werden.
In einer Studie (Vazques, Carmelo, Carmen Valiente et al. 2021) konnte gezeigt werden, dass Personen, die 1.) nur schlecht Unsicherheiten aushalten können, 2.) sehr misstrauisch gegenüber anderen Menschen sind und 3.) wenig Hoffnung haben, dass es besser wird, während der Covid-19-Pandemie mehr posttraumatische Symptome ausgebildet haben. Hingegen zeigten Menschen mit 1.) eher positiven Zukunftseinschätzungen, 2.) dem Glauben an das Gute in der Welt und 3) einer hohen Identifikation mit der gesamten Menschheit, mehr posttraumatisches Wachstum.

Ressourcen, die sich fördernd auf Resilienz auswirken:

  • doziale Kontakte und Beziehungen, sich Gruppen anschließen
  • wahrnehmung und Akzeptanz der eigenen Gefühle, Selbstführsorge und Achtsamkeit
  • einen Sinn finden, die eigenen Fähigkeiten für etwas einsetzen, das größer ist, als die eigene Person
  • hilfreiche Gedanken: Die eigenen Gedanken mit Abstand betrachten, Veränderungen akzeptieren, hoffnungsvoll sein


Ressourcen, die sich hemmend auf Resilienz auswirken:

  • positive Erfahrungen ausblenden
  • „funktionieren wollen“, sich unter Druck setzen
  • selbstfokussierung
  • um das Problem kreisen ohne Lösungsorientierung