Zusammenarbeit mit Migrant*innenselbstorganisationen

Lange Zeit wurden Migrant*innenselbstorganisationen (MSOs) in der Öffentlichkeit wenig beachtet. Ihre Rolle für den Integrationsprozess von Menschen mit Migrationshintergrund wurde eher kritisch gesehen. Inzwischen werden MSOs immer mehr als „zivilgesellschaftliche Partner“ und wichtige Akteure in der Integrationsarbeit angesehen, die sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen engagieren1. Seitdem nimmt das Interesse an der Zusammenarbeit mit MSOs auch im Bereich Umweltbildung zu. Doch was gilt es bei der Kooperation und Kontaktaufnahme mit MSOs zu beachten? Der folgende Beitrag soll dazu einige Anregungen liefern.
 
Entgegen häufiger Annahmen und Pauschalisierungen sind MSOs – wie auch die unterschiedlichen Milieus der Migrant*innenbevölkerung2 – äußerst viel-fältig und heterogen. Das äußert sich unter anderem durch ihre Ziele, Ausrichtungen und Aktivitäten, ihre Größe und den Grad der Professionalisierung sowie die Identitätsmuster und Lebenswelten ihrer Mitglieder3. MSOs (Organisationen, deren überwiegender Anteil an Mitgliedern einen Migrationshintergrund hat) bilden für ihre Communities wichtige Anlaufstellen, sie verfügen u.a. über soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Kontakte und sind Ansprechpartner*innen für kommunale Verwaltung und Politik. Sie fungieren als Interessensvertreter*innen, fördern die Erinnerungsfähigkeit an kulturelle Tradi¬tionen, Erfahrungen, Normen, Werte und Identitäten und helfen gleichermaßen beim „Heimischwerden“ in der hiesigen Gesellschaft4. Ob MSOs eher integrativ wirken oder die Abschottung in Parallelgesellschaften befördern, hängt davon ab, in welchem Umfeld sie sich befinden5. Sie sind als „multidimensionale, multifunktionale und sich im Zeitverlauf stark wandelnde Organisationen zu betrachten, die in aller Regel in Herkunfts- und Ankunftsländern verankert sind“6. Im Folgenden sind einige Punkte zusammen¬gestellt, welche die Zusammenarbeit mit MSOs begünstigen, bzw. hemmen können. Diese beziehen sich vor allem auf die Studie von HUNGER & METZGER 2011 sowie auf den Beitrag vom FORUM DER KULTUREN STUTTGART E.V. 2010. Aufgrund der heterogenen, fallspezifischen Ausgangs¬lagen für Kooperationen können die Punkte jedoch nur als Orientierungshilfe und nicht als Patentrezepte dienen.

Motivation
Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist die beidseitige Motivation. Erfolgversprechend sind solche Projekte, die von beiden Kooperations¬partnern gemeinsam konzipiert und aus ihrer intrinsischen Motivation heraus durchgeführt werden (Bottom-up-Mobilisierung). Seitens der MSOs kann die Motivation an einer Zusammenarbeit etwa durch den Zugang zu mehr Know-how, zu den Netzwerken des Kooperations¬partners, zu Finanzierungs¬möglichkeiten oder zu mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit kommen. Gleichzeitig kann eine Kooperation mit MSOs den Zugang zu neuen Zielgruppen ermöglichen. Dadurch bietet sich insbesondere für Akteur*innen aus dem Bereich Umweltbildung und BNE die Chance, Menschen mit Migrationshintergrund stärker in ihr Bildungsangebot einzubeziehen. Weniger erfolgreich sind dagegen Projekte, bei denen der Wunsch zur Zusammenarbeit von außen an die MSOs herangetragen wird (Top-down-Mobili¬sierung). Dadurch kann ein gewisser Druck spürbar werden, der sich negativ auf die Motivation bzw. das Interesse an einer Zusammenarbeit auswirken kann.

Partizipation
Idealerweise sollte eine gleichwertige Partizipation und Kommunikation von der Projektkonzeption über die Antragsstellung bis zur Durchführung und Evaluation stattfinden. Ist dies nicht der Fall, kann seitens der MSOs schnell der Eindruck entstehen, nur als „Informations- und Klientelvermittler“ instrumentalisiert zu werden. Eine Partnerschaft „auf Augenhöhe“ kann allerdings durch eine teilweise ungleiche Ausstattung mit Finanzen, Personal und Räumlichkeiten sowie dem Verhältnis von Haupt- und Ehrenamtlichen erschwert werden. Gerade kleinere Organisationen befinden sich häufig in einer ständigen Instabilität und Ungewissheit durch unregelmäßige Finanzierung. Viele MSOs stützen sich zudem auf das Engagement ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen, die vielfach auch berufstätig und familiär stark eingebunden sind. Dadurch kann die zur Verfügung stehende Zeit begrenzt und die Kommunikation erschwert werden. Das sollte etwa bei gemeinsamen Arbeitstreffen und Terminen beachtet werden.

Vertrauen und Kommunikation
Eine gemeinsame Vertrauensbasis sowie transparente, offene und ehrliche Kommunikation sind entscheidende Faktoren in der Zusammenarbeit mit MSOs. Gerade bei Kooperationspartnern mit ungleichen Zugängen zu Ressourcen kann ein Gefühl von Benachteiligung entstehen, wenn Informationen vorenthalten werden. Wenn möglich, sollte eine mündliche, persönliche Ansprache dem schriftlichen Kommunika-tions¬¬weg vorgezogen werden. Dabei ist es wichtig, den Partner*innen mit Interesse gegenüber zu treten, viel Zeit für das gegenseitige Kennenlernen aufzu¬bringen, die gegenseitigen Bedürf¬nisse und potenziellen Mehrwerte der Zusammen-arbeit zu kommunizieren und sichtbar zu machen. Dadurch können auf gegenseitiger Unkenntnis beruhende Vorurteile abgebaut und Vertrauen gewonnen werden. Von Vorteil ist, dass die kooperierenden Einrichtungen über Personal mit Migrationshintergrund oder Personal mit interkulturellen Kompetenzen und einer entsprechenden Sensibilität verfügen. Es ist hilfreich, unmittelbar in den einzelnen Communities zu werben und potenzielle Kooperationspartner*innen auch persönlich anzusprechen. Eine gute Möglichkeit dafür bieten Vereinsbesuche, Gesprächskreise und Veranstaltungen, bei denen Mitglieder der MSOs anwesend sind. Bei schriftlicher Kommunikation sollte auf eine verständliche Sprache geachtet und das Geschriebene auf das Wesentliche reduziert werden. Um zu verhindern, dass Informationen und Einladungen bei einem Einzelnen „hängenbleiben“, sollten stets auch noch andere Akteur*innen des Vereins angesprochen, informiert und eingeladen werden. Idealerweise sollte Kontakt zu einer „Brückenper¬son“ aufgebaut werden, die im Verlauf der Zusammenarbeit als Ansprechperson fungiert.
Trotz möglicher Hürden und Rückschläge sollten Sie sich nicht entmutigen lassen eine Kooperation mit MSOs einzugehen, denn die Zusammenarbeit lohnt sich – und zwar nicht nur aus politischer Notwendigkeit und potenziellen Synergieeffekten, sondern auch, „weil es Spaß macht, weil das gemeinsame Arbeiten mit Menschen, die auf andere kulturelle Erfahrungen zurückgreifen können, für die beteiligten Individuen ebenso wie für die Gesellschaft eine Bereicherung darstellt, eine Chance, Neues zu entdecken und sich selbst weiterzuentwickeln“7.

Kontakt:
Philipp Vögele
Arbeitsgemeinschaft Natur- und Umweltbildung Bundesverband e.V.
voegeleanude
Tel. 069 / 977 833 9 – 0

Quellen:
1 Hunger, U., & Metzger, S. (2011). Kooperation mit Migrantenorganisationen. Studie im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg. PDF (Abgerufen am 22.07.2020)
2 Hallenberg, B., Dettmar, R., Aring, A. (2018). Migranten, Meinungen, Milieus. vhw-Migrantenmilieu-Survey 2018. PDF (abgerufen am 28.07.2020)
3,4 Klie, A. W. (2018). Migration und Engagement. In Engagement und Zivilgesellschaft (pp. 425-512). Springer VS, Wiesbaden. PDF (Abgerufen am 22.07.2020)
5 Priemer, J., Krimmer, H., Labigne A. (2017). ZiviZ-Survey 2017. Vielfalt verstehen. Zusammenhalt Stärken. PDF (Abgerufen am 22.07.2020)
6 Pries, L. (2013). Migrantenselbstorganisationen. Umfang, Strukturen, Bedeutung. Institut
für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück
(Hrsg.) (Kurzdossier focus Migration, 21). PDF (Abgerufen am 13.07.2020)
7 Forum der Kulturen Stuttgart e.V. (2010). Auf gleicher Augen- und Herzhöhe. Über die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen – Erfahrungen aus Modellprojekten des Forums der Kulturen Stuttgart e.V. PDF (Abgerufen am 22.07.2020)