Die Idee ist gut: WissenschaftlerInnen und Interessierte aus aller Welt tauschen sich auf einer virtuellen Konferenz im Internet zu Fragen des Klimaschutzes aus. Sie müssen nicht reisen und vermeiden so massiv CO2-Emissionen. Doch inhaltlich und technisch zeigte die virtuelle Konferenz „Klima 2009“ noch deutliche Mängel.Die Idee zu einer Klimakonferenz, die ausschließlich im Internet stattfindet, hatte Walter Leal, Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), vor zwei Jahren. Damals sah er die Bilder vom Klimagipfel in Bali und hörte, dass dieser Kongress mindestens 15.000 Tonnen CO2-Emissionen verursachte. Leal organisierte daraufhin im Jahr 2008 erstmals eine Konferenz zum Klimaschutz, die ausschließlich im Internet stattfand: die Klima 2008. Rund 2.300 Personen aus 162 Ländern registrierten sich über das Internet, um die Beiträge aus elf Ländern zu lesen und zu diskutieren. Mehr als eine Million Mal wurde auf die Seiten zugegriffen. Die gesamte Konferenz wurde CO2-neutral gestaltet, indem die Emissionen durch den Kauf von sogenannten Klimazertifikaten kompensiert wurden.
Klima 2009 mit erweitertem AngebotDie zweite E-Klimakonferenz vom 2. bis 6. November 2009 sollte noch erfolgreicher werden. Teilnahmegebühren gab es nicht. Die geschätzten CO2-Emissionen in Höhe von 266 Tonnen wurden vom Kongresspartner KlimaInvest durch Investition in eine türkische Windkraftanlage kompensiert. Alle Server liefen mit Ökostrom aus Wasserkraft. Allerdings wurde nicht ausschließlich Recyclingpapier verwendet.Thematischer Schwerpunkt war diesmal die Frage, wie der Klimaschutz mit den sogenannten Millenniumszielen der UN verknüpft werden kann, beispielsweise der Beseitigung der extremen Armut und des Hungers, der Verbesserung der Gesundheit oder der Gleichberechtigung der Geschlechter. Im Mittelpunkt stand dabei der wissenschaftliche Austausch. Weitere Zielgruppen waren Privatpersonen und Schulen. Ein Fachbeirat wählte insgesamt 103 Beiträge in vier vorgegebenen Kategorien aus: soziale, ökonomische und politische Aspekte des Klimawandels sowie Projekte und Bildung. Die Beiträge konnten mit maximal fünf Sternen bewertet werden. Ein Forum ermöglichte Kommentare und einen fachlichen Austausch. Zu festgelegten Zeiten wurden außerdem moderierte Live-Chats zu verschiedenen Themen und ein Forum zu allgemeinen Fragen angeboten. Ein umfangreicher Serviceteil beinhaltete Podcasts, Videoclips, Informationen zu Finanzierungsquellen sowie die Möglichkeit der Projektdarstellung zur Partnersuche. Alle Inhalte der Plattform sind auch nach Ende der Konferenzwoche weiter zugänglich und können zur Recherche genutzt werden.
Großes Interesse bei Wirtschaft und PolitikZum Start von Klima 2009 fand eine Auftaktveranstaltung in der Hamburger Industrie- und Handelskammer statt – ganz real mit Teilnehmenden aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Staatsrat Christian Maaß von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt begrüßte die E-Konferenz als Möglichkeit für eine Transmission von Klimawissen in die Gesellschaft und für das Einbeziehen von Initiativen. Claudia Kemfert, Professorin an der Hertie School of Governance und Leiterin der Abteilung Energie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, sah angesichts der tiefen Wirtschaftskrise ein riesiges Weltmarktpotenzial beim Klimaschutz, für das man gerüstet sein müsse. Bis 2020 könnten hier bis zu einer Million neue Arbeitsplätze entstehen. Heino von Meyer, Leiter des Berliner Zentrums der OECD, betonte, alle Lösungsansätze für die Klimaprobleme seien heute verfügbar, erreichbar und bezahlbar. Es hapere allerdings bei der globalen Umsetzung. Neben einem Technik- und Finanztransfer sei auch eine internationale Marktkontrolle nötig. In der anschließenden Podiumsdiskussion äußerten sich die Wirtschaftsvertreter allerdings vorsichtiger: Nicht nur Chancen eröffneten sich, es gelte auch Risiken und Investitionsbedarfe zu bedenken. Handwerk und Technik zeigten sich jedenfalls gerüstet. Sie bieten bereits kostensparende Technik zur Klimaanpassung in Wohnhäusern und Betrieben an.
Zurückhaltende Resonanz in DeutschlandZur Klima 2009 meldeten sich Delegierte aus 147 Ländern an. Die Fachbeiträge waren in englischer Sprache verfasst. Die Beteiligung aus Deutschland hielt sich in engen Grenzen. Ein Wissenstransfer über Sprachgrenzen hinweg ist wegen der vielen Fachausdrücke und ohne erläuternde Bilder sicher schwierig. Zu den deutschen Akteuren und Normalbürgern hin gelang er jedenfalls nicht, das zeigten auch die Beiträge im allgemeinen Diskussionsforum. Die E-Konferenz war zu intellektuell und zu wenig auf allgemein interessierende Fragen zugespitzt. Die Suche nach deutschen Projektpartnern war angesichts fehlender Kurzbeschreibungen recht mühsam und daher offensichtlich wenig erfolgreich. Eine „Klimawandel-Bibliothek“ stellte zwar über 100 Dokumente und aktuelle Studien zur Verfügung, jedoch ohne systematischen Index. In den englischsprachigen Chatrooms tummelten sich meist Fachleute. Wer die breite Masse erreichen will, muss woanders ansetzen, wie es etwa die Plattform StudiVZ zeigt, die seit Jahren mehr als zehn Millionen Menschen vernetzt.
Technik von morgen schon heute einsetzenNeue Formen des Informations-, Wissens- und Kollaborationsmanagements über das Internet gibt es zuhauf. Das Web 2.0 boomt geradezu. Wer in einer Suchmaschine „virtual conference“ eingibt, erhält an die Tausend Treffer. Doch viele E-Konferenzen bleiben exklusiven Zirkeln vorbehalten, dafür sorgen schon die hohen Eintrittspreise. Interessanterweise veranstaltete das Bundesfamilienministerium schon 2002 eine virtuelle Konferenz für Jugendliche über „Wahrnehmungen von Globalisierung – Globale Bilder“. Die Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH (InWEnt) organisiert seit Jahren einen „Chat der Welten“ für Schüler. Technisch sind die jungen Leute weit voraus. Über kostenlose Programme wie TeamSpeak oder TeamViewer ist es beispielsweise problemlos möglich, eine Präsentation auf andere Bildschirme zu zaubern und sich zugleich über Kopfhörer und Mikro mit anderen Personen zu unterhalten. Umständliches Schreiben ist nicht nötig. Jugendliche nutzen diese Kommunikationstechnik schon lange, warum sie also nicht auch für Bildungszwecke oder wissenschaftliche Präsentationen nutzen? Klima 2009 bestand eigentlich aus zwei verschiedenen, nicht ganz kompatiblen Teilen: auf der einen Seite eine interessante Auftaktveranstaltung für die Eliten – real und mit echter Begegnungsmöglichkeit, wenn man das Glück hatte, in Hamburg dabei zu sein. Die andere, virtuelle Seite sollte demokratisch und global sein, blieb aber in den Fachzirkeln hängen. Zu wenig „sexy“ für die Öffentlichkeit? Nicht komfortabel genug? Eigentlich schade, denn die Idee ist gut. Vielleicht sollten die Organisatoren zur Vorbereitung der nächsten E-Konferenz ein paar jugendliche Berater ins Team holen. Freuen wir uns also auf die Klima 2010 vom 1. bis 7. November!
[Jürgen Forkel-Schubert]
www.klima2009.net
Prof. Dr. Dr. h. c. Walter LealForschungs- und Transferzentrum Applications of Life SciencesHAW HamburgTel. +49 (0)40 / 42875-6324E-Mail: walter.leal@haw-hamburg.dewww.haw-hamburg.de/ftz-als.html