Gerhard Winkel"Umwelt und Bildung - Denk- und Praxisanregungen für eine ganzheitliche Natur- und Umwelterziehung"Kallmeyer'sche Verlagsbuchhandlung, Seelze-Velber, 1995, DM 49,-Der Titel ist Programm: dieses Buch ist Lesebuch und Nachschlagewerk in einem. Bereits die Einleitung gibt viele Anlässe zum Nachdenken: "Sich Ganzheitsreihen vorstellen" oder: "Den Unterricht nach den 7 Feldern ganzheitlich gestalten". Winkel bietet hierzu konkrete Praxisanregungen, z.B. zum Thema Apfel: Man kann ihn ertasten, riechen, schmecken, seine Schale beim Reiben hörbar machen; man kann sich ein Spiel ausdenken: von der Apfelblüte zum Apfel; man kann Äpfel malen, Gedichte vom Apfel schreiben und leicht auf 20 Themen kommen; man kann aus Äpfeln etwas Praktisches machen... Winkel bietet weit mehr als nur Übungen zum Nachmachen. Sein Buch kann durchaus als erstes didaktisches Grundlagenwerk für die Umweltbildung bezeichnet werden. Es stellt das Thema Umweltbildung in einen ethisch-philosophischen Kontext und leitet daraus die Begründung für die Ziele einer zeitgemäßen Umwelterziehung ab. Ausgehend von den unterschiedlichen Denkansätzen unseres Abendlandes beschreibt Winkel vier Sichtweisen der Welt und des Menschen sowie die Auswirkungen unseres Handelns auf die Natur. Als Leitidee und somit übergreifendes Erziehungsziel für eine ganzheitliche Umwelterziehung postuliert er "Das Pflegerische" und ordnet es verschiedenen Bereichen der Umwelterziehung zu: der Gesundheit, dem sozialen Umfeld, den Rohstoffen, den Arten usw. Ausführlich und aus der Erfahrung seiner vieljährigen Berufspraxis beschreibt Winkel die Entwicklungs- und Reifungsphasen bei Kindern und erläutert eine alters- und naturgerechte Erziehung. Aus Winkels Sicht müssen den Mythen, aber auch der Religion und den Künsten in der Umwelterziehung ein viel größeres Gewicht eingeräumt werden, damit Umweltbildung kein oberflächliches Geschehen bleibt. Für viele UmweltpädagogInnen auch völlig ungewohnt sind seine ganzheitlichen Ansätze für naturwissenschaftliche Themen, die er am Beispiel Evolution vorstellt. Die letzten Kapitel behandeln den Umgang mit Konflikten. Winkel schläg hierbei eine Brücke vom Individuum zur Gesellschaft und fordert den Einbezug von alltagsbezogenen und zeitgemäßen Problemen in die Umweltpädagogik. Das Buch ist eine fast unerschöpfliche Fundgrube für den Praktiker und den Theoretiker zugleich. Es bietet zum Teil völlig neue und ungewohnte Herangehensweisen an Themen der Umweltbildung. Es ist ein "Bildungs"-Buch, denn es setzt auf die Hoffnung, einsichtiges und verantwortungsvolles Handeln beim einzelnen Menschen durch Bildungsprozesse hervorrufen zu können. Durch dieses Buch sind wir diesem Ziel mit Sicherheit ein Stück näher gekommen. Was aber, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein "goetheanisches", pflegerisches Wirken dem Einzelnen von vornherein als sinnlos oder zu wenig erfolgversprechend erscheinen lassen? Was ist, wenn junge Menschen nicht Winkels Leitidee folgen, sondern viel lieber auf schnellen Gewinn und kurzes Glück setzen, egal, was es "kostet"? Über welche Vorbilder verfügt unsere junge Generation denn eigentlich heute? Hier warten wirklich große Aufgaben für alle UmweltpädagogInnen, wenn sie ihre Arbeit auch persönlich ernst nehmen und sich um den Einzelnen bemühen, ihm Beispiele geben und auch ein Beispiel sind. Wir alle sind aufgefordert uns einzubringen und an einer Zeitenwende mitzuarbeiten, denn "niemand kann sich um eine Antwort drücken, weil er an der Zukunft schuldig wird, wenn diese Antwort egoistisch oder gleichgültig ausfällt".