7. Diskriminierungsfreie Sprache

Im ANU-Projekt „Interkulturalität außerschulischer Bildungsorte im Naturschutz“ beschäftigten wir uns mit der Frage, wie kulturelle Vielfalt in den Angeboten von Organisationen außerschulischer Bildungsorte sichtbar verankern werden kann, so dass sich möglichst alle Menschen angesprochen und eingeladen fühlen. Die Verwendung von Sprache, die der Vielfalt der Bevölkerung gerecht wird, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Doch wie gelingt eine Kommunikation, die niemanden ausgrenzt, diskriminiert und respektvoll mit allen Menschen umgeht?

Sprache verändert sich stetig und entwickelt sich weiter

Im Alltag wird Sprache meist spontan gebraucht. Der selbstverständliche Gebrauch ist Teil unserer Kommunikationsfähigkeit und unserer Identität. Uns sollte dabei bewusst sein, dass sich Sprache und Kontext verändern: Begriffe, die vor 50 Jahren bedenkenlos genutzt wurden, werden heute kritisch reflektiert. So wurde etwa in der Bundesrepublik bis in die 70er Jahre die Bezeichnung „Fräulein“ für unverheiratete Frauen unabhängig ihres Alters selbstverständlich benutzt. Aus Gründen der Gleichstellung von Mann und Frau und um dem zeitgemäßen Selbstverständnis der gesellschaftlichen Stellung der Frau Rechnung zu tragen, wurde der Begriff im Jahr 1972 dann aus dem offiziellen bundesdeutschen Wortschatz gestrichen. Es ist also zu erwarten, dass einige der Begriffe, die wir heute nutzen, in Zukunft in einem anderen Licht erscheinen bzw. nicht mehr verwendet werden. Sprache verändert sich stetig, entwickelt sich weiter und reflektiert den gesellschaftspolitischen Kontext, in dem gesprochen wird.

Sprachbilder aktivieren bestimmte Denkmuster und prägen unser Bild von gesellschaftlicher Realität

Die Frage „wer über etwas sprechen kann und Gehör findet“ hat mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu tun. Verschiedene Gruppen vereinnahmen, instrumentalisieren und besetzen Begriffe und Bilder – und prägen mit einer bestimmten Form der Sprache unser Bild von gesellschaftlicher Realität. In den Medien ist häufiger von einer „Flüchtlingswelle“ die Rede. Durch die Zusammensetzung der Worte „Flüchtling“ und „Welle“ werden bestimmte Assoziationen, Emotionen und Bilder in uns hervorgerufen und geprägt. Mit einer Welle kann etwas Großes, Bedrohliches und schwer Kontrollierbares verbunden werden. Durch die Verwendung des Begriffs „Flüchtlingswelle“ werden geflüchtete Menschen mit Gefahr, Bedrohung und Kontrollverlust verknüpft. Das Setzen von Deutungsrahmen über Sprache wird als „Framing“ bezeichnet. Häufig funktioniert dies metaphorisch. Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Kontext das Sprachbild verwendet wird. Es ist egal, ob jemand sagt „Wir müssen die Flüchtlingswelle solidarisch über Europa verteilen“ oder „Wir müssen die Flüchtlingswelle stoppen“. Hört man das Sprachbild, werden automatisch Denkmuster aktiviert. Um solche unsere Wahrnehmung beeinflussenden Frames zu verstehen, ist es notwendig, die eigene Sprache zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen. Dabei ist die Kritik an bestimmten Sprach- und Bildverwendungen nicht automatisch als Kritik an der sprechenden Person zu verstehen. Vielmehr zielt die Kritik darauf, über die Wirkung von Sprache und Bildverwendungen nachzudenken.

Sprache kann diskriminieren, abwerten und verletzen

Es gibt Bezeichnungen, die andere Menschen und Menschengruppen diskriminieren, abwerten und verletzen. Durch Begriffe und Bezeichnungen können vorhandene Stereotype und Ressentiments bestätigt und durch die kontinuierliche Wiederholung von offizieller Seite verstärkt und weiter normalisiert werden. Ausschlaggebend für die Entscheidung, einen Begriff zu verwenden oder davon Abstand zu nehmen, sollte die Wirkung sein, die dieser hat und nicht die Intention derjenigen, die ihn verwenden.

Diskriminierungsfreie Sprache richtet sich in erster Linie an gruppenherabwürdigende Begriffe, die im englischen Sprachraum als „slurs“ bezeichnet werden und weniger an reine Schimpfwörter. Slurs sind durch eine objektive Tatsache (z.B. Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung etc.) und eine darauffolgende negative Bewertung gekennzeichnet. Schimpfwörter, wie etwa „Dreckssau“, beruhen hingegen auf einer subjektiven, individuellen Einschätzung (Die bezeichnete Person wird als schmutzig oder unordentlich wahrgenommen – oder auch nicht) und einer darauffolgenden negativen Bewertung. Für die eine Person mag die bezeichnete Person als schmutzig oder unordentlich wahrgenommen werden – eine andere Person kann ganz anderer Meinung sein und entgegnen, dass es sich um eine sehr ordentliche Person handelt. Trifft es jedoch zu, dass eine Person eine bestimmte Herkunft hat, lässt sich schwer entgegnen, dass dies nicht der Fall ist. Aus diesem Grund können Schimpfwörter universell angewendet werden - Slurs hingegen nicht. Es gibt immer genau eine Gruppe, auf die keine gruppenherabwürdigenden Wörter zutreffen. Im Falle von Geschlecht, die Gruppe der Männer. Im Falle von Abstammung, die Gruppe der jeweiligen Sprachgemeinschaft. Im Falle von Sexualität, die Gruppe mit heterosexueller Orientierung. Und so weiter. Dementsprechend ist es Personen, die keiner Gruppe von Minderheiten angehören, nicht möglich, sich in die Position hineinzuversetzen, in der sie Slurs ausgesetzt wäre.

Slurs werden von unterschiedlichen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft benutzt und mit diesen Gruppen und deren Einstellungen assoziiert. So verwendet etwa die Gruppe, die gegenüber Menschen mit südosteuropäischem oder nordafrikanischem Migrationshintergrund negativ eingestellt ist, den gruppenherabwürdigenden Begriff „Kanake“. Verwendet nun eine Person ebenfalls diesen Begriff, ordnet sie ihre eigene Position (indirekt) der Gruppe zu. Begriffe, die von bestimmten Gruppen von Minderheiten gewünscht und selbst aktiv verwendet werden, sind in gewisser Weise stark vor einer Begriffsabwertung geschützt. Denn es ist bei der Verwendung einer Eigenbezeichnung nicht möglich, dass der Begriff mit einer bestimmten Gruppe assoziiert wird, die negative Meinungen gegenüber der bezeichneten Gruppe hat. Mit der Eigenbezeichnung Sinti und Roma können zwar nach wie vor antiziganistische Narrative aufgerufen werden, es hat aber nicht die gleiche negative Wortbedeutung wie das bei der Fremdzuschreibung „Zigeuner“ der Fall ist. Bei der Verwendung von diskriminierungsfreier Sprache geht es also in den meisten Fällen darum Eigenbezeichnungen der betroffenen Gruppen zu übernehmen und Paraphrasen und Fremdzuschreibungen zu vermeiden. In den Fällen, in denen keine Eigenbezeichnungen existieren – wie z.B. bei Menschen mit Migrationshintergrund – sollte der Begriff einen Fokus auf das Mensch-Sein legen und dann die entsprechende Eigenschaft so deutlich und so neutral wie möglich nennen. Man sollte also nicht etwa von „Migrationshintergründler*innen“ sprechen, sondern von Menschen mit Migrationshintergrund.

Sprache beinhaltet Aussagen über „Normalität“ und „Abweichung“

Die Art und Weise wie über Menschen und Dinge gesprochen bzw. geschrieben wird, ist stark durch die wahrgenommene „Normalität“ geprägt. Dinge und Gegebenheiten, die als „normal“ betrachtet werden, werden häufig angenommen und nicht explizit genannt. Wird hingegen ein Aspekt explizit hervorgehoben, handelt es sich meist um etwas Besonderes, das von der „Normalität“ abweicht. Dadurch kann beim Bemühen, Vielfalt zu benennen, schnell der Effekt entstehen, dass Vorstellungen von „Normalität“ und „Abweichung“ reproduziert werden. So hebt etwa der Hinweis, eine Autorin sei deutsch-muslimisch oder lesbisch, das Muslimisch-Sein oder die Homosexualität als besonderen – der „Normalität“ abweichenden - Aspekt hervor. Es kann Zusammenhänge geben, in denen das Muslimisch-Sein oder ihre sexuelle Identität für ihr Werk von Bedeutung ist oder für den Kontext. Dabei kann etwa die Intention verfolgt werden, eine deutsche Autorin mit muslimischem Hintergrund sichtbar zu machen. Eher seltener würde jedoch eine Autorin oder ein Autor als deutsch-christlich oder als heterosexuell benannt werden. Aufgrund der angenommenen „Normalität“ erscheint eine solche Information überflüssig. Bei der Benennung von Vielfalt ist es daher ratsam, im Einzelfall zu prüfen, ob der Kontext oder Zusammenhang die explizite Benennung rechtfertigt, oder eher zu einer Reproduktion der Normalitäts- bzw. Abweichungsvorstellung führen würde.

Worauf ist bei der Anwendung von diskriminierungsfreier Sprache zu achten?

In der Öffentlichkeit wurde und wird über Sprache häufig kontrovers diskutiert. Mitunter wird von Redeverbot oder Einschränkung der Meinungsfreiheit gesprochen. Der vorliegende Text soll zur sachlichen Diskussion und zum bewussten Umgang mit Sprache beitragen. Es geht weniger um Verbote als darum, Konnotationen bestimmter Begrifflichkeiten zu erläutern und verständlicher zu machen. Die ANU möchte dazu anregen, die eigene Sprachverwendung zu reflektieren und sich bewusst für eine diskriminierungsfreie Sprache zu entscheiden. Im Folgenden sind einige Aspekte festgehalten, die man bei der Verwendung von diskriminierungsfreier Sprache beachten sollte:

  1. Sich die Wirkung von Sprache bewusst machen und die Verwendung der eigenen Sprache reflektieren. Werden mit dem Begriff unerwünschte Frames erzeugt? Werden durch den Begriff Menschen verletzt, diskriminiert oder abgewertet? Ausschlaggebend für die Entscheidung, einen Begriff zu verwenden oder davon Abstand zu nehmen, sollte die Wirkung sein, die dieser hat und nicht die Intention derjenigen, die ihn verwenden.
  2. Möglichst zutreffende und akkurate Begriffe verwenden. Nicht selten passiert es, dass Begriffe, wie etwa „Zuwanderer“ und „Menschen mit Migrationshintergrund“ fälschlicherweise als Synonyme verwendet werden.
  3. Eigenbezeichnungen (wie z.B. Sinti und Roma) statt Fremdzuschreibungen („Zigeuner“) verwenden.
  4. Wird die Verwendung des Begriffs durch den Kontext oder Zusammenhang gerechtfertigt, oder führt er eher zu einer Reproduktion der Normalitäts- bzw. Abweichungsvorstellungen?

Das Glossar der neuen deutschen Medienmacher*innen kann dabei helfen Formulierungshilfen und Erläuterungen zu verschiedenen Begriffen zu finden. Es handelt sich dabei um ein Glossar für die journalistische Berichterstattung zu Themen wie etwa Migration, „Wir“ und „die Anderen“, Flucht und Asyl. (glossar.neuemedienmacher.de) Darüber hinaus bieten Dokumente wie der Leitfaden „Vielfalt zum Ausdruck bringen!“ der Berliner Senatsverwaltung eine Orientierungshilfe.

Im Folgenden sind beispielhaft einige Begriffe erläutert, die uns im Rahmen des Projekts häufiger begegnet sind.

Flüchtlinge: Laut Genfer Flüchtlingskonvention sind damit Personen gemeint, die aus begründeter Furcht vor der Verfolgung ihrer Person wegen ihrer „Rasse“, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Schutz in einem anderen Land suchen. In amtlichen Statistiken gilt die Bezeichnung „Flüchtling“ nur für die Menschen, die schon einen Schutzstatus besitzen. Der Begriff ist, aus sprachlicher Hinsicht, äußerst umstritten: Menschen werden durch die Bezeichnung auf einen Teil ihrer Biografie reduziert. Darüber hinaus ist der Begriff aufgrund der Instrumentalisierung politischer Gruppen, aber auch aufgrund von medialen Wortneuschöpfungen wie „Flüchtlingswelle“, stark negativ besetzt. Alternativ können Begriffe wie GeflüchteteSchutzsuchende oder geschützte Personen verwendet werden.

Migrant*innen: Das Statistische Bundesamt definiert Menschen als Migrantinnen oder Migranten, wenn sie nicht in Deutschland, sondern im Ausland geboren sind. Rund die Hälfte dieser Personen sind Deutsche, die andere Hälfte hat eine ausländische Staatsangehörigkeit. Der Begriff wird im Diskurs häufig fälschlicherweise synonym für Menschen mit Migrationshintergrund verwendet.

Aufnahmegesellschaft: Wird häufig als Synonym für Deutsche ohne Migrationshintergrund verwendet, wirkt dabei jedoch ausgrenzend, da Eingewanderte und ihre Nachkommen auch zu den Aufnehmenden gehören. Ein klärender Zusatz wie multikulturelle Aufnahmegesellschaft wäre sinnvoll, damit deutlich wird: Es sind die rund 83 Millionen Bürger*innen in Deutschland gemeint.

Menschen mit Migrationshintergrund: Sind laut Statistischem Bundesamt in Deutschland lebende Ausländer*innen, eingebürgerte Deutsche, die nach 1949 in die Bundesrepublik eingewandert sind, sowie in Deutschland geborene Kinder mit deutschem Pass, bei denen sich der Migrationshintergrund von mindestens einem Elternteil ableiten lässt. Zunächst wurden Personen mit Migrationshintergrund in der Verwaltungs- und Wissenschaftssprache verwendet. Doch als durch Einbürgerungen und das neue Staatsangehörigenrecht von 2000 der Begriff Ausländer nicht mehr zutraf, um Einwanderer und ihre Nachkommen zu beschreiben, ging die Formulierung auch in die Umgangssprache ein. Heute wird der Begriff oft als stigmatisierend empfunden, weil damit mittlerweile vor allem (muslimische) „Problemgruppen“ assoziiert werden. Gute Alternativen: Menschen aus Einwandererfamilien oder Menschen mit internationaler Geschichte

Quellen