NaturSchutzRaum

Extrem rechte Akteur*innen und Gruppierungen versuchen zunehmend, den ländlichen Raum zu besiedeln und hier eine kulturelle Vorherrschaft in der Gesellschaft zu erreichen. Ein Teil der Strategie dieser „Kulturrevolution von rechts“ ist eine Diskursverschiebung über Vereine und Erziehungseinrichtungen – insbesondere auch im Kontext des Natur- und Umweltschutzes. Mit dem von der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) initiierten Projekt NaturSchutzRaum soll der strategischen rechten Landnahme durch Bildung und Prävention ein wirksames Mittel entgegengesetzt werden. Ziel ist es, rechtsextrem gefährdete Jugendliche und junge Erwachsene in den ländlich-peripheren Räumen über die Organisationsstrukturen der Natur- und Umweltschutzverbände sowie über Umweltbildungszentren zu erreichen. Es sollen Angebote geschaffen werden, die den Desintegrationspotentialen und den damit verbundenen Radikalisierungstendenzen entgegenwirken. Hierfür werden Aus- und Fortbildungskonzepte für Regelanbieter im Bereich des Natur- und Umweltschutzes sowie für Studierende in den sogenannten „grünen Berufen“ entwickelt, erprobt und schließlich vor Ort eingesetzt und evaluiert.

Seit die Fachstelle Radikalisierungs­präven­tion und Engagement im Naturschutz (FARN) von den NaturFreunden und der Naturfreunde­jugend in 2017 ins Leben gerufen wurde, stieg jährlich die Nachfrage nach Informations- und Bildungsformaten. Auch die Beratungsgesuche nahmen seitdem kontinuierlich zu. Insgesamt wur­den seit der Gründung über 300 Formate bundesweit durchgeführt und damit circa 7200 Menschen erreicht. Die alltägliche Praxis zeigte dabei, dass häufig gerade die kleineren Strukturen (auf Landes- und vor allem Kommunalebene) der Natur- und Umweltschutzverbände Information, Bera­tung und Qualifikation im Bereich Unterwanderung und Instrumentalisierung von Rechts suchten. Mit dem Modellprojekt NaturSchutzRaum, das aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ ge­för­dert wird, reagiert die Fachstelle auf diesen besonderen Bedarf und richtet den Fokus auf den naturnahen ländlichen Raum.

Rechte Landnahme – eine Studie

Eine erste Studie[1] belegt, dass eine Vielzahl der Natur- und Umweltschutz­verbände in Deutschland, die über den Deutschen Naturschutzring organisiert sind, bereits Erfahrung mit rechtsextremen Gruppie­rungen und Akteur*innen gemacht haben. Im Novem­ber 2019 hatte diversu e.V. eine Umfrage bei den Mitglieds­verbänden des Deutschen Natur­schutz­rings (DNR) zur Verbreitung von Rechts­radikalismus in Natur- und Umwelt­schutzverbänden durch­geführt. Die Studie ergab unter anderem folgende Ergebnisse: 31,5 Prozent der Befragten gaben an, im Rahmen ihrer haupt- wie ehrenamtlichen Tätigkeiten für ihren Verein bereits Er­fah­rungen mit Menschen mit rechts­extremen Ideologien gemacht zu haben. Die Erfahrungen reichten von Störungen von Veran­staltungen durch rechtsextreme Personen und Gruppierungen über die Nutzung von Verbandsräumlichkeiten bis hin zu gezielten Kooperationsanfragen. Von dem Versuch der rechten Einflussnahme sind Verbände im gesamten Bundesgebiet gleichermaßen betroffen. Offenbar insbe­sondere dann, wenn sie sich mit klas­sischen Natur­schutzthemen (wie z. B. Artenschutz), der (ökologischen) Landwirt­schaft, der Klima­krise oder mit dem Wolf und der Jagd beschäftigen.

Selbstverständnis und Strategie

In Erscheinung treten Gruppierungen und Akteur*innen der alten und neuen Rechten sowie Player*innen aus dem rechts­eso­terischen Milieu, aber auch rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien. Bei der Beantwortung natur- und umweltschutz­relevanter Fragen setzen die genannten antidemokratische Kräfte auf affektive Komponenten. So werden z.B. Fragen nach dem Klimawandel (sofern er nicht von vornherein geleugnet wird) und dem damit zusammenhängenden Rückgang der biolo­gischen Vielfalt mit rassistischer Bevölke­rungskontrollpolitik, völkischer Hei­mat­­liebe und einem daraus abgeleiteten Bioregio­nalismus beantwortet. Außerdem werden eine restriktive Migrationspolitik zum Ressourcenschutz sowie Kultur­pessi­mis­mus und antimoderne Zivilisa­tions­kritik als Lösungen präsentiert. Ziel ist die Dis­kursverschiebung nach rechts innerhalb der Zivilgesellschaft.

Dennoch ist das Engagement extrem rechter Akteur*innen nicht als bloße Strategie zu werten. Rechtsextreme ver­stehen sich aufgrund ihrer ideologischen Haltung oft als Natur- und Umwelt­schützer*innen. Sie begreifen Natur- und Umweltschutz als originär rechtes Thema und beziehen sich auf die völkisch-autoritären Traditionslinien des deutschen Naturschutzes.[2] Sie verknüpfen Natur- und Umweltschutz mit sozialdarwinistischen, autoritaristischen und chauvinistischen Ideo­logien sowie mit Aspekten gruppen­bezogener Menschen­feindlichkeit. Neben dem identitäts­stif­ten­den Moment sind Natur- und Umweltschutzthemen für rechte Gruppie­rungen aber auch aus Image­gründen interessant. Mit ihnen können extrem Rechte durchaus Sympathien gewinnen und erscheinen anschlussfähig an wichtige gesell­schaftliche Anliegen.[3]

Der ländliche Raum als Aktionsfeld

Das gelingt ihnen besonders gut dort, wo demokratisch-zivilgesellschaftliche Struk­tu­ren, bedingt durch den demographischen Wandel, Stück für Stück geschrumpft bzw. nahezu verschwunden sind, also in strukturschwachen ländlichen Räumen. Pro­­­­­jekte wie „Zusammenrücken in Mittel­deutschland“, Initiativen wie „Ein Prozent für unser Land“ oder rechtsesoterische Zusam­menschlüsse wie die Anastasia­bewegung forcieren gezielt die Ansiedlung von extrem rechten bzw. völkischen Siedlern in strukturschwachen Räumen als Bestandteil rechter Landnahme.

Ausgehend von einer ohnehin sehr nied­rigen Bevölkerungsdichte ist eine Reihe ländlich-peripherer Räume von Über­al­terung, Geburtenrückgang und Ab­wan­derung geprägt. Der Bevölkerungs­rück­gang stellt eine der größten Heraus­forderungen für ländliche Regionen dar.[4]

Der anhaltende Weggang junger Men­schen vom Land in die Stadt sowie die sukzessive Vernachlässigung öffentlicher Infrastruk­turen in ländlichen Regionen begünstigen die von extrem rechten Gruppierungen angestrebte „rechte Land­nahme“.

Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass der Rückgang der Bevölkerung in den ländlichen Räumen noch etwa bis 2030 anhalten wird.[5] Das Statistische Bundesamt geht in seiner Bevölkerungs­voraus­rechnung sogar davon aus, dass die östlichen Bundesländer bis 2060 im Durchschnitt 25 Prozent ihrer heutigen Bevöl­kerung ver­lieren werden. Schlusslicht wird laut dieser Prognose Sachsen-Anhalt sein, dessen Bevölkerung etwa um ein Drittel zurück­gehen wird. Aber auch wohlhabende westliche ländliche Strukturen sehen sich zunehmend mit einem Rückgang an Kindern und Jugendlichen konfrontiert. Für alle ländlichen Regionen gilt dabei: Umso ländlicher die Regionen, desto stärker die Abwanderung junger Menschen. Und: umso ländlicher die Region, desto geringer der Anteil junger Menschen insgesamt.

Außerdem lässt sich beobachten, dass über­wiegend besser qualifizierte junge Menschen abwandern (ebenda). Zurück bleiben junge Menschen, die in der pädagogischen Praxis als Individua­lisie­rungs­verlierer beschrieben werden. Sie sind konfrontiert mit Beziehungsverlusten, unklaren Strukturen in ihrer Lebenswelt sowie mit erlebnisarmen Siedlungsräumen. An die Stelle der sozialen Versorgung und an die Stelle demokratisch-zivilgesell­schaftlicher Freizeit- und Kulturangebote treten vermehrt Gruppierungen der extremen Rechten. Sie machen Orientie­rungs­angebote und bieten Möglichkeiten der Vergemeinschaftung. Sie übernehmen wichtige Funktionen des Zusammenlebens und verbreiten in diesen Zusammenhängen ihre antidemokratischen Ideen.

Davon ausgehend ergibt sich aus der Verortung vieler Natur- und Umwelt­schutzverbände im ländlichen Raum sowie aus der dortigen strukturellen und demo­grafischen Entwicklung eine beson­dere rechts­extreme Gefährdungs­lage für diese Verbände sowie für ihre Communities und Netzwerke.

Regelstrukturen stärken

Das Modellprojekt NaturSchutzRaum rich­tet sich deshalb gezielt an haupt- wie ehren­amtliche Akteur*innen im Natur- und Umweltschutz, die im naturnahen länd­lichen Raum tätig sind. Mittels eines mehr­stufigen Qualifizierungsprogramms werden sie zu Multiplikator*innen für einen demo­kra­ti­schen Natur- und Umweltschutz.

Die Basisausbildung ist als praxisnahe, berufsbegleitende Weiterbildung konzipiert und vermittelt Kompetenzen für das eigenständige Durchführen von Workshops im Themenfeld Naturschutz, Umweltschutz und Rechtsextremismus. Sie bietet Basis­wissen, Methodenkenntnisse, didak­tische Prinzipien und Moderations­werkzeuge für die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Darauf auf­bauend können die im Basismodul ausgebildeten Multipli­kator*innen jährlich an einem Online-Auf­baumodul teilnehmen, das auf bestimmte Themenfelder fokussiert. In 2021 lag der Schwerpunkt des Aufbaumoduls auf dem Umgang extrem rechter Gruppierungen mit der Klimakrise und den erneuerbaren Energien. In 2022 soll die (ökologische) Landwirtschaft in den Blick genommen werden.

In die Zukunft investieren

Neben den haupt- und ehrenamtlichen Akteur*innen im Natur- und Umweltschutz richtet sich das Modellprojekt NaturSchutzRaum zudem an eine weitere Zielgruppe: an Studierende in den „grünen Berufen“. Ausgehend von der An­nahme, dass Student*innen des Ökoland­baus, des nachhaltigen Tourismus, der Forst­wirtschaft, der Landschafts­pla­nung, des Naturschutzes und anderer ähnlicher Studiengänge mit hoher Wahrscheinlichkeit im naturnahen ländlichen Raum ihr Tätig­keitsfeld finden, sollen sie präventiv für rechte Ökologie sensibilisiert werden.

FARN entwickelt daher bis Ende 2024 in Kooperation mit unterschiedlichen Hoch­schul­partnern ein Online-Seminar für Studierende in den grünen Berufen. Auf Basis einer von FARN durchgeführten Onlinebefragung soll das Seminar an den Wissensständen und Bedarfen der Studie­renden anknüpfen.

Aktuelle und zukünftige Akteur*innen

NaturSchutzRaum nimmt also bereits aktive und zukünftige Akteur*innen des Natur- und Umweltschutz in den ländlichen Räumen in den Fokus. So werden bestehende und zukünftige zivil­gesell­schaftliche Strukturen in naturnahen ländlichen Räumen gestärkt. Unterwan­derungs- und Instrumenta­lisie­rungs­­ver­suche werden frühzeitig erkannt.

Die Akteur*innen begreifen sich nicht länger „nur“ als Tätige des Naturschutzes, des regionalen Tourismus, des Ökolandbaus oder der Forstwirtschaft, sondern auch als Demokratiebildner*innen und Förder*innen. Sie setzen der Kulturrevolution von rechts sowie der rechten Landnahme etwas entgegen.

Autor*in und Kontakt: Lukas Nicolaisen (Fachstellen­leitung), nicolaisen@nf-farn.de


 


[1] Gottschlich et al. (2020): Rechte Landnahme. Ergebnisse einer Online-Befragung von Natur- und Umweltschutzverbänden zur Einflussnahme durch rechte Akteur*innen und ihre Ideologien, diversu e.V.

[2] Heinrich et al. (2015): Naturschutz und Rechtsradikalismus. Gegenwärtige Entwicklungen, Probleme, Abgrenzungen und Steuerungsmöglichkeiten, BfN-Skripten 394

[3] ebenda

[4] Bund der deutschen Landjugend e.V. (2017): Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen

[5] www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Presse/imported/downloads/Bevoelkerungsprognose_Bundesweit.pdf