Bildung gegen Rechts

FARN ermutigt junge Menschen, sich für demokratiefördernden und menschenrechtsbejahenden Natur- und Umweltschutz stark zu machen.

Etwa 20 junge Menschen stehen je paarweise zusammen. Zwei Minuten haben sie Zeit, um sich über das Leben im Einklang mit der Natur auszutauschen. Es entsteht ein großes Gemurmel. Es wird assoziiert: Yoga, ökologische Landwirtschaft, Naturheilkunde, Ganzheitlichkeit … Dann ist die Zeit vorbei. Sie trennen sich wieder, finden sich zu neuen Paaren zusammen und erhalten weitere Begriffe zur Diskussion.

FARN ist heute zu Gast bei einem FÖJ-Seminar. Die Teilnehmenden begreifen sich selbst als Natur- und UmweltschützerInnen. Mit Rechtsextremismus hatten die meisten bisher wenig Berührung. Was Naturschutz mit Rechtsextremismus zu tun haben soll, können sich nur wenige vorstellen. Weder in der Schule noch in ihrem jetzigen Arbeitsfeld haben sie bisher etwas über die historischen und aktuellen Verknüpfungen dieser beiden Themenfelder erfahren.

Die oben beschriebene Szene ist der Einstieg in das knapp fünfstündige Seminar zu völkischen Traditionen im Natur- und Umweltschutz, das FARN seit Anfang des Jahres für Jugendliche und junge Erwachsene anbietet. Ziel der Bildungsarbeit ist es, biologistische und rassistische Kontinuitäten im Natur- und Umweltschutz aufzuzeigen. Gleichzeitig wird aber auch dazu beigetragen, Anknüpfungspunkte und Schnittmengen für rechte und völkische Strömungen im Natur- und Umweltschutz zu lokalisieren, um sie zukünftig zu vermeiden. Das Leben im Einklang mit der Natur ist nur eines von vielen Konzepten, das im Seminarverlauf eine kritische Überprüfung durch die TeilnehmerInnen erfahren wird.

Im Mai 2018 schrieb die Autorin Charlotte Roche im Süddeutsche Zeitung Magazin über die krankmachenden Auswirkungen des Stadtlebens. Das Leben in urbanen Räumen sei nicht „artgerecht“ für den Menschen. Aus dieser Erkenntnis hat Roche ihre Schlüsse gezogen, ist aufs Land gezogen und plädiert dafür, es ihr gleichzutun. Die FÖJlerInnen lesen den Artikel. Die Kritikpunkte an Großstädten können sie gut nachvollziehen und auch die Vorzüge von einem Leben in der „Natur“ teilt die überwiegende Mehrheit. Nicht zuletzt, meinen einige, könne das ländliche Leben durch eine geringere Abhängigkeit von international agierenden Konzernen auch wesentlich gesünder und ressourcenschonender gestaltet werden. Durch die Bewirtschaftung des eigenen Gartens oder den Kauf von Lebensmitteln bei der Bäuerin um die Ecke entstehe das Gefühl einer gewissen Autarkie von kapitalistischen Zwängen. Es gäbe möglicherweise mehr Raum für gesellschaftliche Alternativen.

Ein Leben im Einklang mit der Natur wird von den SeminarteilnehmerInnen zunächst ausschließlich mit emanzipatorischen und irgendwie linken Ideen verbunden. Doch das muss nicht so sein und ist es auch nicht. Die FÖJlerInnen erfahren: Schon lange, nämlich seit mehr als 100 Jahren, verknüpfen (extrem) rechte und völkische Gruppierungen jenes naturverbundene Leben mit ihren demokratiefeindlichen Ideen. Und das ist auch kein Zufall, sondern fügt sich vielmehr reibungsfrei in das rechtsextreme Welt- und Menschenbild ein.

Das (extrem) rechte Weltbild ist ein organisches, lernen die TeilnehmerInnen. Der Mensch wird als Teil eines ganzheitlichen Systems verstanden. Von Geburt an hat er demnach einen angestammten Platz in einer festgelegten Gemeinschaft und einem festgelegten Gebiet. Mit diesem Gebiet ist er als Teil der Natur verwurzelt. Selbstbestimmung, Emanzipation oder Egalität sind hier nicht vorgesehen. Der Sinn eines jeden menschlichen Lebens besteht innerhalb dieses Gedankenmodells einzig und allein darin, das große Ganze (Heimat, Volk, Kultur) zu erhalten. Das Leben im Einklang mit der Natur ist demzufolge in multikulturell geprägten Städten mit vielfältigen Lebensentwürfen nur bedingt möglich. Die Teilnehmenden sind überrascht und erschrocken, wie gefällig sich die Idee vom Leben im Einklang mit der Natur in demokratiefeindliche und menschenverachtende Ideologien und Gedankenmodelle einfügt. So hatten sie sich das nicht vorgestellt.

Aufbauend auf die erworbene theoretische Basis beschäftigen sich die Jugendlichen im weiteren Verlauf des Seminars mit aktuellen Playern der neu-rechten Szene und deren Naturverständnis. Zum Beispiel mit der Identitären Bewegung oder dem rechtsextremen Netzwerk Ein Prozent. Letzteres, so erfahren die TeilnehmerInnen, propagiert derzeit die Errichtung von „patriotischen Leuchttürmen“ im ländlichen Raum. Es sollen Rückzugsorte geschaffen werden, in denen alternative Gesellschaftsmodelle gelebt werden können. In diesem Fall völkisch-nationale Modelle. Das ist in strukturschwachen Regionen nicht nur strategisch geschickt, sondern passt auch gut in die Vorstellung von einem Leben in Einklang mit der Natur, erkennen die FÖJlerInnen und fügen hinzu, dass sie hier auch historische Parallelen erkennen. Der Begriff „Heimatschutz“ fällt, etwas später auch die „Blut-und-Boden-Ideologie“.

Am Ende steht bei vielen Teilnehmenden die Frage, was das nun für ihr eigenes Engagement bedeutet. Ist Leben im Einklang mit der Natur etwa kein erstrebenswertes Ziel? Was ist mit Konzepten wie „Nachhaltigkeit“ oder „Postwachstum?“ Gemeinsam kommen die TeilnehmerInnen darauf, dass die Ziele bleiben können, dass aber die Motive überprüft und bestehende Konzepte inklusive der bisher benutzten Begriffe genau unter die Lupe genommen werden müssen. Für die Jugendlichen ist klar: Ihr Herz schlägt weiterhin für den Natur- und Umweltschutz, aber er muss demokratiefördernd und menschenrechtsbejahend sein.

Ein gutes Ergebnis, findet FARN.

 

Yannick Passeick und Lukas Nicolaisen,
Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN)
E-Mail: passeicknf-farnde, nicolaisennf-farnde