Raus in die Natur – nur mit Bedienungsanleitung!

Der Alltag vieler Familien ist gefüllt mit Terminen und geprägt von gesellschaftlichen Erwartungen. Für freies Spielen in der Natur gibt es oft keine Gelegenheit und Zeit. Das Leverkusener Umweltzentrum NaturGut Ophoven hat das Freizeitverhalten von Familien untersucht, um herauszufinden, wie Familien motiviert werden können, in die Natur zu gehen.

Um mehr über Erfolgsfaktoren für ein positives Naturerlebnis von Familien zu erfahren, hat das Projektteam des NaturGut Ophoven Familien zu einer naturpädagogischen Veranstaltung mit anschließendem Fokusgruppengespräch eingeladen. Denn in der Auseinandersetzung mit einem konkreten Naturerlebnis sind implizite Inhalte bzw. verborgene, nicht artikulierte Einstellungen besser zu erkennen (vgl. Dokumentarische Methode, Bohnsack 2007). Das Konzept der Veranstaltung, Familien lassen sich zur „Waldmeister-Familie“ ausbilden, entsprach der klassischen Naturpädagogik, nach der Natur mit allen Sinnen erlebt wird. Das anschließende Gespräch beinhaltete erzählgenerierende, offene Fragen und einen themenorientierten Frageteil. Teilgenommen haben drei Familien. Die beteiligten sechs Kinder waren zwischen Kindergarten- und Grundschulalter. In Zusammenarbeit mit dem Beratungsbüro für Umweltpsychologie Dr. Scheffler DialogConsulting wurde das Gespräch wissenschaftlich analysiert und ausgewertet.

Was hindert Familien daran in die Natur zu gehen?

Für Eltern aus dem städtischen Raum sind Aufenthalte in der Natur mit einem höheren Organisationsaufwand verbunden. Im Vergleich dazu ist der Besuch auf dem Spielplatz, der spontan, ohne Anfahrt und über einen kurzen Zeitraum (ca. eine Stunde) zu bewältigen ist, leichter in den Alltag zu integrieren. Zum anderen fragen sich Eltern, was denn eigentlich in der Natur gemacht werden kann. In der Fokusgruppe werden zum Beispiel „Spaziergänge” von einem Vater und einigen Kindern als langweilig abgelehnt. Einem Aufenthalt in der Natur stehen außerdem Fußballturniere, Aktivitäten mit der Großfamilie, soziale Kontakte der Eltern und Kinder gegenüber. Vielfach wird betont, dass es wenig Zeit gibt und die Wochenenden vollgepackt sind.

Welche Bedürfnisse haben Familien bei ihrer Freizeitgestaltung?

Die Eltern richten die Freizeitgestaltung nach den Interessen der Kinder aus und unterstützen sie bei ihren Vorhaben. Teilweise stellen sie ihre eigenen hinter die Interessen der Kinder zurück oder sie versuchen einen Kompromiss zu finden. Ihnen ist es wichtig, gemeinsame „Familienzeit“ zu verbringen, die möglichst allen Spaß macht. Eine zentrale Orientierung der befragten Familien ist dementsprechend, die Kinder „gesund“ zu erziehen und ihnen verschiedene Möglichkeitsräume zu eröffnen. Unter „gesunder” Erziehung verstehen sie die Förderung von Aufenthalten im Freien („draußen sein“) und Bewegung und Sport. Draußen zu sein ist aber nicht gleichzusetzen mit Aufenthalten in der Natur. Es hat den Anschein, dass Natur eher als „schöner Raum“ für Freizeit und Bewegung angesehen wird, für den man aber eine Anleitung benötigt, da man sonst nicht viel mit ihm anzufangen weiß. Natur wird weniger als Ort an sich betrachtet, der einfach nur guttut.

Wie können Familien für Naturerlebnisse begeistert werden?

Im Fokusgruppengespräch über die Prioritäten bei der Freizeitgestaltung wird deutlich, was Eltern und Kindern bei ihrer Freizeitplanung wichtig ist. Daraus ist zu erkennen, wie Familien für Naturerlebnisse begeistert werden können. Den Kindern sind das Treffen anderer Kinder sowie Spannung, Spiel und Bewegung wichtig. Die Eltern möchten sowohl etwas mit den Kindern als auch mit dem Partner gemeinsam machen. Es soll zielorientiert sein, wenig Planung voraussetzen, spontan umzusetzen und auch für sie selbst interessant und spannend sein. Diese Interessen gilt es in Einklang zu bringen, um ein positives Naturerlebnis für Familien zu ermöglichen. Im Naturerlebnis vor dem Gruppengespräch gab es zwei Aktivitäten, die Kindern und Eltern gleichermaßen gefallen haben. Dies ist zum einen eine Mutprobe, zum anderen das Herstellen und Ausprobieren eines „Bio“-Basketballs und Basketballkorbes aus Zweigen. Diese beiden Naturaktivitäten beinhalten alle oben genannten Elemente.

Das Fokusgruppengespräch verdeutlichte, dass Natur nicht nur cool ist, wenn sie zum Event wird. Darüber hinaus ergaben Gespräche mit Kommunikationsexperten, dass man mit einem konkreten Angebot, das ein bestimmtes Problem oder Lebensgefühl aufgreift, für Familien relevant und interessant wird. Mit diesem „Verfassungsmarketing“ kann eingegriffen, gesteuert und verändert werden. Ein modernes Naturmarketing formuliert Lösungen oder Versprechen und weckt Erwartungen, die dann erfüllt werden. Möchten Umweltbildungszentren im Freizeitbereich attraktiv für Familien sein, tun sie gut daran, sich in erster Linie als Dienstleister zu betrachten und Familien ein Rund-um-sorglos-Paket zu schnüren. Das Besondere an Natur ist, dass man in ihr genau das findet, wonach sich viele Menschen in unserer schnelllebigen und hektischen Gesellschaft sehnen, nämlich nach Entschleunigung. Hier kann eine an den Bedürfnissen von Familien orientierte Umwelt- und Erlebnispädagogik ansetzen, indem sie Familien eine gesunde, erholsame und den Gemeinschaftssinn stärkende Alternative zu Terminstress und „Konsum“-Freizeitbeschäftigungen anbietet.

Das Projekt wird gefördert durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW. Es sollen Grundlagen geschaffen werden, um das Interesse von Familien am Naturerleben und -entdecken langfristig zu steigern. Mit einer auf Basis der Forschungsergebnisse optimierten Bildungsarbeit, die nicht nur Naturerlebnisangebote umfasst, sondern auch deren effektive Bewerbung, können neue Ansprachemethoden für die Zielgruppe geschaffen werden. Die Projektergebnisse können auch anderen Umweltbildungseinrichtungen zur Weiterentwicklung ihrer Veranstaltungsformate dienen.

Sonja Fasbender, M.A. Sozialwissenschaften, Umweltbildungsreferentin, Mitarbeiterin im Projekt „Familien in der Natur“,

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