Rio+20-Gipfel: Wo bleibt die Bildung?

20 Jahre nach dem berühmten Rio-Gipfel, der das Nachhaltigkeitsprinzip weltbekannt gemacht hat, findet im Juni wieder eine UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro statt. Doch wie dem Vorentwurf für das Schlussdokument zu entnehmen ist, wird die Rolle der Bildung bei den Vereinten Nationen noch immer dramatisch unterschätzt.

Weltkonferenzen werfen nicht nur ihre Schatten voraus, sondern auch ihre Ergebnisprotokolle. So auch Rio+20. Im Internet (1) kann man eine sogenannte Zero-Draft-Version der Ergebnisse der Konferenz einsehen – es ist der Entwurf einer Nullnummer. Er dient den Staaten und Nichtregierungsorganisationen dieser Welt dazu, sich zu orientieren und Eingaben zu machen. Man kann das als Einzelstaat tun, aber auch im Staatenverbund. So hat es keinen Vorschlag zur Modifikation vonseiten der deutschen Regierung gegeben, wohl aber von der EU unter Beteiligung Deutschlands.

Vage Bildungsideen

Was steht nun im allerersten Entwurf des Rio+20-Protokolls über Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)? Nicht viel, muss man konstatieren. Erst am Ende des Dokuments, das den wunderbaren Titel „The Future We Want“ trägt, ist unter Punkt 98 bis 101 von „Education“ die Rede. Dabei wird konstatiert, dass Erziehung wichtig ist, dass es eine verstärkte LehrerInnenausbildung geben muss und die Curricula fortentwickelt werden müssen. Best Practice ist weiterhin gefragt und man setzt Hoffnungen in die Entwicklung von Nachhaltigkeitsforschung sowie Lehre im Hochschulsystem. Aber – immerhin – wünscht man sich auch, dass die UN-Dekade, die ja Ende 2014 ausläuft, irgendeine Form der Fortsetzung erfährt.

Die EU plädiert nun in Reaktion auf dieses Protokoll für einige Erweiterungen, die darauf hinauslaufen, BNE um wesentliche Aspekte aus dem UN-Programm Education for All und aus den Millennium Development Goals zu erweitern. Betont wird auch die Bedeutung von „Training and Research“. Man plädiert nicht nur dafür, die BNE-Aktivitäten nach 2014 irgendwie fortzusetzen, vielmehr ergeht ein „call for the continuation of those activities“. Ob das so auszulegen ist, dass es eine weitere Dekade geben soll, ist daraus nicht genau zu erkennen.

Bildung für nachhaltige Entwicklung nach 2014

Die Mitgliedstaaten der Unesco haben, initiiert von Schweden und Japan, ihre Zentrale in Paris aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten, was nach der Dekade geschehen kann. Auch der Deutsche Bundestag hat sich in seinem Beschluss vom 26. April für die Fortsetzung von BNE-Aktivitäten nach 2014 starkgemacht – ein wichtiges und lesenswertes Dokument! Man darf mithin vermuten, dass es weitere internationale Aktivitäten geben wird.

Das Deutsche Nationalkomitee, so ergab ein Meinungsbild bei der letzten Sitzung am 11. Mai, sieht in einer zweiten Dekade die beste Variante der Fortsetzung der Aktivitäten, da andere Möglichkeiten, etwa ein Weltaktionsprogramm mit offenem Ende auszurufen, nicht die Effekte erzielen, die mit einer Dekade zu erreichen sind. Das Nationalkomitee hat in der gleichen Sitzung auch einen ersten Entwurf für die BNE-Strategie 2015+ diskutiert. Nach einer Überarbeitung werden alle Interessierten die Möglichkeit haben, auf www.bne-portal.de ihre Meinung zu dem Papier sowie Wünsche und anderes in die Diskussion einzubringen. Mit gutem Grund, denn schließlich ist BNE partizipativ ausgerichtet.

Irritierend bleibt es allerdings, dass dem Thema „Education“ und speziell der BNE bisher im Vorfeld von Rio+20 so wenig Beachtung beigemessen wird. Dies erstaunt, da der Schwerpunkt der Konferenz auf der Frage liegt, wie eine „Green Economy“ vorangebracht werden kann, wie sich die Armut auf der Welt beheben lässt und wie man die notwendigen Innovationen in Gang setzt. Dazu scheinen Neugründungen oder deutliche Zusammenschlüsse von weltweit agierenden Institutionen und Organisationen angedacht zu sein – nicht aber eine Fokussierung auf „Education“.

Bildungsarmut

Nun liegt der Zusammenhang zwischen Armut und (geringem) Bildungsstand ebenso auf der Hand wie die Einsicht, dass ein verändertes Wirtschaften und Handeln als Bedingung ihrer Möglichkeit (und nicht als Ergänzung) fundamental von Lernprozessen abhängig ist. Nicht ohne Grund spricht der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem jüngsten Gutachten von der Notwendigkeit einer „fundamentalen Transformation der Weltgesellschaft“. Die notwendigen Innovationen in Wirtschaft, Forschung und Politik wie bei den Lebensstilen erfolgen nicht automatisch. Nötig ist ein systematisch angebahnter mentaler Wandel – und das in kürzester Zeit. Daher hält der WBGU fest, dass Bildung „eine größere Bedeutung in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie erhalten“ sollte. Das notwendige Verantwortungsbewusstsein, das Gerechtigkeitsempfinden und die Gestaltungskompetenz, die benötigt werden, um gegen die globalen Problemlagen nicht nachhaltiger Entwicklungen anzukommen, erfordern umfängliche Lernprozesse. BNE ist damit nicht nur ein notwendiger, sondern ein substanzieller Beitrag, um nachhaltige Entwicklungen sogleich, aber auch vorausschauend und vorsorgend in Gang zu setzen.

Liegt es an der – weltweit gesehen – völlig desolaten Lage der Bildungssysteme, dass man zwar die Bedeutung von „Education“ und BNE immer wieder in den transnationalen Dokumenten unterbringt, aber nicht der Einsicht folgt, dass hier ein substanzieller Hebel für nachhaltige Entwicklung vorhanden ist? Kein Wunder, dass das Zutrauen in die Bildung fehlt. Bei wachsender Weltbevölkerung bleiben die Ausgaben für Bildung marginal. Die Curricula sind ebenso wenig zeitgemäß wie die Unterrichtsformen – Leuchttürme einmal ausgenommen. Oder würdest du darauf setzen, dass mit diesem Bildungssystem – und ich meine dessen globalen Zustand – nachhaltige Entwicklung befördert werden kann? Eben!

(Gerhard de Haan)

Prof. Dr. Gerhard de Haan leitet das Institut für Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung (Institut Futur) an der Freien Universität Berlin. Er ist Vorsitzender des Nationalkomitees der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Anmerkung


(1) Erster Entwurf (Zero Draft) des Abschlussdokuments für den UN-Gipfel „Rio+20“ vom 20. bis 22. Juni in Rio de Janeiro: www.uncsd2012.org/rio20/futurewewant.html