Bildungsforschung: Bildung für nachhaltige Entwicklung ist jetzt messbar

Im Rahmen der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung haben Bildungsforscher erstmals Indikatoren entwickelt. Damit lassen sich überprüfbare Aussagen treffen, in welchem Umfang dieser neue Bildungsansatz Eingang in Schulen und Hochschulen gefunden hat. Nun kommt es darauf an, dass das Indikatorenset auch angewendet wird.

VON JÜRGEN FORKEL-SCHUBERT

Sowohl das Konzept der Nachhaltigkeit als auch die dazugehörende Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind in ihrer Definition und in der Abgrenzung zu anderen Bereichen unscharf. Deshalb gab es bisher kaum allgemein anerkannte empirische Studien oder eine verlässliche Datenlage für Vergleiche. Im Rahmen der UN-Dekade BNE gelang es nun einem Forscherteam um Gerd Michelsen, Maik Adomßent, Inka Bormann, Simon Burandt und Robert Fischbach, 13 Indikatoren zu erarbeiten, die ein Monitoring dieser wichtigen Querschnittsbereiche ermöglichen.

Die Indikatoren sind in vier Bereiche gegliedert und bilden sowohl die Makro¬ebene unseres Bildungssystems als auch die Mesoebene der Bildungsinstitutionen ab, nicht aber Bildungsprozesse auf individueller Ebene.

1. Politische Rahmenbedingungen


Die Rahmenbedingungen werden durch zwei Indikatoren abgebildet. Die „Präsenz des Themas Nachhaltigkeit in der Gesellschaft“ wurde anhand der alle zwei Jahre durchgeführten Studie des Bundesumweltministeriums zum Umweltbewusstsein erhoben. Dabei gilt der Anteil der Bevölkerung mit hohem Bewusstsein für Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen als Gradmesser. Um den zweiten Indikator „Politischer Wille, BNE umzusetzen“ zu ermitteln, werden die Internetdatenbanken der Parlamente von Bund und Ländern digital nach bestimmten Begriffen wie „nachhaltig“ oder „BNE“ durchsucht. Es werden vor allem die vorhandenen Nachhaltigkeitsstrategien, aber auch die BNE-Aktionspläne der Länder analysiert.

2. Indikatoren für die Verankerung von BNE


Dieser Bereich umfasst drei Indikatoren. Die Messdaten für „Staatlich geförderte Forschung und Entwicklung zu BNE auf Bundesebene“ und „Wettbewerbe und Preise zu BNE“ gewinnt man aus Internetdatenbanken verschiedener Institutionen, darunter das Bundesbildungsministerium, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt oder die Website der Deutschen UNESCO-Kommission selbst. Internetseiten der Länder fehlen allerdings, obwohl gerade diese über die Kompetenzen im Bereich Schule verfügen. Für den dritten Indikator „Bildungseinrichtungen in Netzwerken“ werden relevante Netzwerke ermittelt und je eines für Schule und Hochschule qualitativ ausgewertet.

3. Indikatoren für BNE in Schulen

Schulen sind besonders wichtige Multiplikationsorte für BNE und werden durch vier Indikatoren erfasst. „Bildungsstandards“ und „Lehrpläne“ lassen sich relativ einfach über eine Internetrecherche auswerten. Für den dritten Indiktor „Lehrmittel“ liegen dagegen keine digitalen Quellen vor, sodass einige wenige Materialien „per Hand“ ausgewertet werden müssen. Zum vierten Indikator „Vorgaben für Schulinspektoren“ gibt es zwar digitale Dokumente auf den Landesbildungsservern, doch fehlt hier zumeist die explizite Benennung von Nachhaltigkeitsaspekten.

4. Indikatoren für BNE in Hochschulen

Auch dieser Bildungssektor wird durch vier Indikatoren erschlossen. Die Zahl der „Professuren mit Nachhaltigkeitsbezug“ lässt sich relativ gut über Nachhaltigkeitsdenomination in Ausschreibungen von neuen Professuren im Archiv der Zeitung „Die Zeit“ ermitteln. Eine Internetrecherche in der Deutschen Nationalbibliothek erlaubt zeitverzögert nach der Einrichtung einer Professur, die Zahl der „Dissertationen zur BNE“ zu erfassen – in gewissem Rahmen, da Begriffe wie Umweltbildung, Umwelterziehung und weitere einer manuellen Bearbeitung bedürfen. Ähnliches gilt für den aus zwei Internetdatenbanken gewonnenen Indikator „Nachhaltigkeitsstudiengänge an Hochschulen“, weil nicht immer der Bezug zur Nachhaltigkeit aus der Selbstdeklaration hervorgeht. Für den 13. Indikator „Lehrerbildung“ können die Dokumente der Kultusministerkonferenz oder der Bundesländer zur 1. Staatsprüfung herangezogen werden – allerdings sind Erstere veraltet und in den Letzteren wird BNE so gut wie nirgends erwähnt.

Wertvolles Instrument trotz einiger Mängel

Die Recherchen für diese Studie erfolgten fast ausschließlich über das Internet. Die am häufigsten genutzte Website war dabei die der UN-Dekade BNE selbst. Daher sollte die Auswahl der verwendeten Websites auf breitere Füße gestellt werden und ein stärkerer Einbezug Dekade-unabhängiger Quellen erfolgen.

Bei einigen Indikatoren wird nicht genau zwischen Nachhaltigkeit und BNE unterschieden. So bildet der Indikator „Präsenz des Themas Nachhaltigkeit in der Gesellschaft“ eben nicht ab, in welchen Umfang die beiden Bildungssektoren Schule und Hochschule dazu beitragen, dass das
Bewusstsein in der Bevölkerung steigt.

Auch wird bei vielen Indikatoren nicht dargelegt, wie Nachhaltigkeit definiert wird – ob also ein klarer Bezug zum Nachhaltigkeitsansatz im Sinne der Agenda 21 von Rio aus dem Jahr 1992 vorliegt oder ob „nachhaltig“ nur als Adjektiv benutzt wird.

Trotz kleinerer Mängel liegt mit dem Indikatorenset erstmals die Möglichkeit vor, mit vertretbarem Aufwand brauchbare quantitative Aussagen über die Verankerung von BNE in unserem Bil¬dungs-sys¬tem treffen zu können. Eine Ausweitung auf weitere Bildungssektoren wie Kita, Berufbildung und Weiterbildung wäre sehr wünschenswert. Die Publikation ist insgesamt sehr zu loben und von unschätzbarem Wert für die Bildungsforschung. Bleibt die Hoffnung, dass das Indikatorenset auch wirklich zum Einsatz kommt.

Michelsen, G. u. a.: Indikatoren der Bildung für nachhaltige Entwicklung – ein Werkstattbericht. Deutsche UNESCO-Kommission, Bonn 2011. 98 S., ISBN 978-3-940785-26-8. Download:
www.unesco.de/5902.html