Umweltbildung als "Marginalie"?

Machen wir uns nichts vor! Die Zeiten sind allgemein nicht gerade rosig - und schon gar nicht für die Umweltbildung. In Schleswig Holstein wurden zu Beginn des letzten Schuljahres kurzfristig viele LehrerInnen in die Schule zurückgeholt, die an außerschulische Lernorte abgeordnet waren. In Chemnitz erblödet sich ein Schulamtsleiter zu behaupten, daß "Einrichtungen wie das Schulbiologiezentrum eigentlich fast überholt" sind. In vielen Umweltministerien gibt es weder ein eigenes Referat Umwelterziehung/Umweltbildung noch sind ausreichende Mittel zur Förderung von Aktivitäten vorhanden (Bayern vielleicht ausgenommen). Und in den Schulbehörden wird Umwelterziehung immer klein(er) geschrieben. Die Notwendigkeit für eine alle Bildungsbereiche umfassende, sozial gestützte und politisch aktive Umweltbildung wird seit Rio verbalöffentlich dagegen von niemanden mehr bestritten. Die Entwicklung eines "Zukunftsfähigen Deutschlands" setzt jedoch ein verändertes Bürgerverhalten voraus, das erst durch Bildungsmaßnahmen aufgebaut werden muß!

Man lese in der von der Bundesregierung mit unterzeichneten "Agenda 21" nach (insbesondere Kapitel 36) und klage die ausstehende Förderung der Umweltbildung bei allen zur Verfügung stehenden PolitikerInnen ein. Die Medien sind voller schöner, bunter Artikel über den Segen der Umweltbildung. Doch wo, bitteschön, bleibt der Hieb der Umweltbildungsverbände in diese Kerbe? Wieso kommt "die Umweltbildung" nicht in die Hufe und fordert ihren Preis ein? Fehlt es an politischer Power oder an Konzepten oder an fähigen Leuten oder gar an allem? Haben sich die wenigen etablierten (d.h. finanziell abgesicherten) UmweltpädagogInnen auf ihr Altenteil zurückgezogen und verwalten ihre (mageren) Pfründe? In solchen Zeiten, wo sich Chancen auftun, die nicht verspielt werden dürfen sind scharfe Reflektion und gute Zusammenarbeit notwendig. Zwar gibt durchaus ein Geschehen, das allgemein "Umweltbildung" genannt wird, doch wie mißt man dessen gesellschaftliche Bedeutung? Vielleicht an der Zahl der Schüler, die ein Umweltzentrum besuchten? Oder an der Häufigkeit der Berichterstattung über Umweltbildung in den Medien? Oder aber an der Höhe der Geldsumme, die der Finanzminister bereit ist, dafür in seinem Haushalt zu veranschlagen?

Zwei Fragen sind dabei wesentlich: Was hat die Umweltbildung bislang geleistet? Und warum sollen bestimmte Bereiche verstärkt gefördert werden? Zum Stand der Diskussion hat der neue Vorsitzende der DGU, Prof. Gerhard de Haan, eine bemerkenswerte Rede auf der Jahreshauptversammlung in Frankfurt im September 1995 gehalten und dabei (wieder einmal) kräftig gegen den Strich gebürstet: "Zwar lassen sich immer wieder herausragende Einzelaktivitäten (z.B. die vom BMBW geförderten Modellversuche) finden..., doch sind diese Aktivitäten - im Ganzen gesehen - Marginalien". "Marginalie", von lat. margo "Rand", bedeutet: am Rande liegend, beiläufig, ohne Einfluß (Mayers Lexikon, 1990). Das, was wir UmweltpädagogInnen für so wichtig halten, daß wir ihm so viel Kraft, Engagement und Zeit schenken und worüber pro Jahr ca 800 Medieneinheiten erscheinen - das soll nur eine Randbemerkung im Bildungsgeschehen und deshalb kaum der Rede wert sein? Dennoch hat de Haan recht und belegt es auch: In der Schule entfallen gerademal 1,3% des gesamten Unterrichts auf Umweltbildung, in den Volkshochschulen sind es 2% des Angebots und bei den Universitäten und anderen Hochschulen überspringt der Anteil der Lehrveranstaltungen mit Umweltthemen nicht einmal die 1%-Hürde. Dabei werden aktuelle und sozialbezogene Themen vernachlässigt, eine politische Umsetzung fehlt ebenso wie die nachsorgende Betreuung von TeilnehmerInnen an Fortbildungen oder ein Netzwerk für die Suche nach Kooperationspartnern. De Haan spricht von einer "Feiertagsökologie", die zu besonderen Anlässen oder nebenbei stattfindet, aber keinen Einfluß auf die "große Routine" des Bildungsalltags hat. Neben einer thematischen Neuorientierung auf die individuellen Handlungsfelder, die eine starke Rückwirkung auf die Umweltnutzung besitzen (z.B. Energieverbrauch, Mobilität, Konsum, Wohnungsbau usw.) muß auch die Forschung über Umweltbewußtsein und herrschenden Lebensstil ausgebaut und verstärkt einbezogen werden. Würde man, so de Haan, nicht nur eine "grüne" sondern auch eine "kulturelle Wende" im Bildungssektor fordern und durchführen, dann gelänge es voraussichtlich auch, die Umweltbildung aus ihrer Ecke einer 1%-Disziplin mit randständigem Charakter herauszuführen. Mit Sicherheit können viele Umweltzentren dazu einiges beitragen!

Auszüge aus dem Artikel von G. de Haan "Perspektiven der Umwelterziehung/Umweltbildung", nachzulesen im Heft 12 der DGU-Nachrichten vom Oktober 1995, Bezug: DGU, Fauenthal 25, 20149 Hamburg, Tel: 040/4106921