Vom 24. bis 29. März 2024 fand die erste diesjährige Waldwoche des Projekts „Natur erleben“ mit Jugendlichen von der Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz aus Münster statt. Die Projektleiterin des Bergwaldprojekts, Urla Ewender, die die naturschutz-fachlichen Arbeiten auf den Flächen des Regionalforstamts Hochstift im Eggegebirge anleitete, berichtet hier über ihre Eindrücke, Erfahrungen und Emotionen.
Vor Kurzem hatte ich das große Glück, eine Woche im Wald mit Jugendlichen verbringen zu dürfen. Die Jüngste ist 11 Jahre, der Älteste 18 Jahre alt – eine bunt zusammengewürfelte Gruppe aus verschiedenen Wohngruppen der St. Mauritz Kinder- und Jugendhilfe. Und mitten drin ich: Nach Meinung der Jugendlichen steinalte 26 Jahre alt und von Beruf Försterin, bzw. Ökologin beim Bergwaldprojekt e.V. In dieser Position beschäftige ich mich ständig mit dem Leben und dem Zusammenspiel verschiedener Lebewesen. Vorrangig aber auf funktionaler und nicht emotionaler Ebene. Diese Woche also einmal funktional und emotional. Eine Woche mit 13 Jugendlichen im Wald zu leiten, finde ich durchaus herausfordernd. Werden sie mit uns Anleitenden an einem Strang ziehen und begreifen, wie wichtig der Erhalt und die Wiederherstellung unserer Ökosysteme für alle Menschen ist? Werden sie motiviert sein? Die anstrengende Arbeit schaffen? Etwas mit nach Hause nehmen von den Inhalten, die wir besprechen? Zunächst einmal fällt auf, dass das Warum und Drumherum von den Jugendlichen mit beneidenswerter Neugier entdeckt wird – weiche Moospolster, grinsende Baumstämme, bunte Linien in den Erdschichten, farbenfrohe Raupen. Der Blick der Jugendlichen auf den Wald öffnet auch meine Sicht, weitet den Winkel, lässt mein vielleicht festeres, forstwissenschaftlich und naturschutzfachlich geprägtes Konzept aufbrechen.
Gemeinsam Eine Situation bleibt mir besonders im Gedächtnis: Wir sind auf dem Weg zur Arbeitsfläche und sitzen zu siebt im Bus. Ein Jugendlicher sitzt auf dem Beifahrersitz und hat sein Handy über Bluetooth mit dem Auto verbunden. Erst spielt er einen eigenen Song, dann dreht er sich zu den Mädchen auf der Rückbank um und fragt „Hej, wollt ihr noch Lieder aus ‚Bibi und Tina‘ hören?“ Die Mädchen bejahen enthusiastisch und wir singen alle laut mit. Eine ähnliche Rücksichtnahme ist auch beim Abendessen am Büffet zu beobachten, wo immer genug für alle übrig gelassen wird. Oder, als bei den gelegentlichen, aber dafür sehr nassen Regenschauern Jacken ohne übertriebene Besitzansprüche freimütig von Person zu Person weitergereicht werden. Diese Hilfsbereitschaft hat die Stimmung in der Woche stark geprägt und ist vermutlich auch ein zentraler Bestandteil einer Gesellschaft, die Rücksicht nimmt auf die Bedürfnisse von Anderen – der heute und in Zukunft lebenden Menschen sowie anderen Lebewesen. Und sie ist Voraussetzung für das funktionierende Gefüge in einer Gruppe: Auch, wenn die Jugendlichen einander vorher nicht alle kannten, wachsen sie schnell zusammen – und noch erstaunlicher: Wir Erwachsenen haben einen festen Platz innerhalb der Gruppe. Wir werden nicht nur als Ansprechpartner*innen und Anleiter*innen akzeptiert, uns wird sogar die Ehre zuteil, am täglich stattfindenden abendlichen „Werwolf“-Spiel teilzunehmen.
Kleine Kapriölchen und allerlei Päckchen Natürlich ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Schnell ist klar, dass es nicht einfach ist, jeder Person genug Rückzugsraum in der gemeinsamen Unterkunft mit Mehrbettzimmern zu bieten. Deshalb ist es umso wichtiger, schwelende Konflikte schnell und versöhnlich beizulegen, z.B. nach einem verletzenden Kommentar des*r Zimmermitbewohners*in. Hierbei werden die Jugendlichen auf liebevolle Art und Weise von ihren Betreuungspersonen unterstützt. Die Jugendlichen haben in der eigenen und/oder in der Pflege-Familie oder in den Wohngruppen bereits viel erlebt. Obwohl also jede*r ihr*sein Päckchen zu tragen hat (in manchen Fällen sicherlich auch ganze Paketstationen), bieten offensichtlich gera-de diese Schwierigkeiten im Leben die Möglichkeit eines persönlichen Reifungsprozesses. So haben sie gelernt, das eigene Empfindungen zu reflektieren und auf die Gefühle der Mitmenschen zu achten. Einleitende Worte wie „No hate, aber …“ sind in der Gruppe an der Tagesordnung, wenn es darum geht, konstruktive Kritik anzubringen: Kooperation statt Konfrontation. Bis zu diesem achtsamen Umgang war es sicher ein weiter Weg.
Auf Fliedersehen! Der Abschied nach den wenigen gemeinsam verbrachten Tagen fällt mir dieses Mal ungewöhnlich schwer. Es ist immer ein seltsames Gefühl, wenn die gerade so gut eingespielte Gruppe am Ende einer Projektwoche wieder auseinander geht. Denn man hat doch Einiges zusammen erreicht, durchgestanden und ist sich auf vielen Ebenen näher gekommen. Nun gesellt sich dieses Mal bei mir noch ein tiefer Respekt vor den Jugendlichen hinzu und damit einhergehend auch eine Inspiration, feste Denkmuster zu hinterfragen, aufzubrechen und unvoreingenommener auf die Welt zu blicken. Auch die Frage, was die Teilnehmenden aus der Woche mit nach Hause nehmen, steht für mich am Ende jeder Woche. Wie werden sie ihre Eindrücke und Erfahrungen weiter-tragen? Auf welchen Wegen werden sie die Welt beeinflussen und mitgestalten? Fest steht, dass hier in Horn-Bad Meinberg wunderbare Menschen zusammengekommen sind, die trotz oder gerade wegen unterschiedlicher Geschichten viel Positives für die Ökosysteme und ein soziales Miteinander bewirken. Und das macht diese Welt so viel reicher.
Autorin: B.Sc. Urla Ewender Bergwaldprojekt e.V. Kontakt: waldschule@bergwaldprojekt.de Tel: 0931 7052 7575