BNE in der Kinder- und Jugendhilfe

Junge Menschen, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe begleitet werden, haben in vielen Lebensbereichen „einen oftmals sehr vollen Rucksack im Gepäck“. Themen wie Biodiversität, Umwelt- und Naturschutz etc. liegen nicht unbedingt in ihrem Fokus. Die Bewältigung von Traumata, der Umgang mit ihren Störungsbildern und weitere Fragen fordern ihre gesamte Aufmerksamkeit. Gleichwohl ist es möglich, auch diese jungen Menschen über einen handlungsorientierten Ansatz im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) für Naturschutzthemen zu gewinnen. Genau das zeigen der Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe e.V. (BVkE) und der Bergwaldprojekt e.V. in dem gemeinsamen Projekt „Natur (er)leben – Kinder- und Jugendhilfe packt an!“.

Natur (er)leben in den Waldwochen
Ziel des im Bundesprogramm Biologische Vielfalt geförderten Projektes ist es, die Akteur*innen (Kinder, Jugendliche, Fach- und Führungskräfte) der (stationären) Kinder- und Jugendhilfe für die Themen Biodiversität, Klimawandel und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Dabei sollen Bildungskonzepte im Kontext einer BNE für bildungsferne Kinder und Jugendliche entwickelt, erprobt und nach Möglichkeit als Querschnittsaufgabe in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe verankert werden.
In den Waldwochen, die unter Anleitung und Begleitung des Bergwaldprojektes durchgeführt werden, bilden Jugendliche (ab 12 Jahren) und pädagogische Fachkräfte ein Team und leisten gemeinschaftlich Arbeiten zum Schutz und zur Wiederherstellung der natürlichen Lebensräume. Die Jugendlichen erwerben dabei Kenntnisse über die vielfältigen Funktionen der Ökosysteme und Möglichkeiten zur Erhaltung. Weiterhin wird versucht, ihnen die Bedeutung und die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen zu vermitteln. In einer unseren ersten Waldwochen zeigten die Jugendlichen anhand ihrer Äußerungen, dass sie ganz schnell verstanden haben, wie wichtig der Wald für uns Menschen sind. So überlegten sie beim Abendessen, mit welchen konkreten Maßnahmen wir uns natur-verträglicher verhalten können „Weniger Klamotten produzieren, nicht mehr mit Gas heizen, keinen Müll in die Umwelt bringen“. Ziel ist es, dass die Jugendlichen aufgrund ihres Verständnisses und Verhaltens einen Beitrag zur notwendigen Veränderung leisten.
 
Übernachtet wird in einfachen Gemeinschaftsunterkünften oder Zelten. Der Tagesablauf folgt einem festen Rhythmus: um 6:00 Uhr wird die Gruppe geweckt und steht auf, ab 6:30 Uhr wird gefrühstückt und ab 8:00 Uhr beginnt der Aufenthalt auf den Arbeitsflächen, auf denen – je nach Region und Notwendigkeit – unterschiedliche Aufgaben verrichtet wer-den: Waldpflege und Schutzwaldsanierung im Rahmen von Pflanzungen, Wald- und Biotoppflege sowie Steigbau, Auf- und Abbau von Zäunen, Bau jagdlicher Einrichtungen, Borkenkäferbekämpfung oder Wiedervernässung von Mooren, Landschaftspflege wie z. B. Mahd oder das Zurückdrängen der Vegetation auf offenen Landschaften.
Das frühe Aufstehen erfreut sich in den Waldwochen bei den jungen Teilnehmenden nicht besonders großer Beliebtheit – Wecken um 6:00 Uhr und das in den Ferien! Belohnt werden sie mit neuen Erfahrungen: „Die ersten Bäume werden zögerlich gepflanzt, nach und nach entwickelt sich in der Gruppe mehr Sicherheit und Routine. Letztlich halten alle zusammen, trotz Wind und Regen ohne jegliche Klage, um die letzten jungen Buchen in die Erde zu bringen. Auch wenn mal der eine oder andere Zwist entsteht – die Jugendlichen zeigen, was viele Menschen vergessen: Gemeinsam schaffen wir mehr, als ein Einzelner sich vorstellen kann. Dabei findet sich neben der Arbeit immer noch genug Zeit, um erstaunliche Dinge zu entdecken und zu bauen: Eine Dreizehnjährige hat ein wunderbares Miniatur-Haus inklusive Vorgarten mit Weg und Hecke kreiert, ausschließlich mit Material aus der Arbeitsfläche.“ (Urla Ewender, Projektleitung, Bergwaldprojekt e.V.) Auch für solche wertvollen Erfahrungen ist in den Waldwochen Zeit. Auf die besonderen Bedürfnisse der Jugendlichen aus dem Kontext der Hilfen zur Erziehung wird Rücksicht genommen: die Zeiteinheiten auf Grund geringerer Aufmerksamkeitsspannen werden verkürzt und für Jugendliche mit beispielsweise Zwängen oder Autismus-Sprektrum-Störung werden Möglichkeiten für einen Rück-zug eingeplant. Mit insgesamt 60 geplanten Waldwochen im Zeitraum von sechs Jahren, können bis zu 1.200 Jugendliche von einer für sie neuen und selbstwirksamen Erfahrung in der Natur profitieren.

Weitere Projektbausteine
Um das Projekt und seine Themen in den Einrichtungen und im BVkE e.V. zu verankern und die Projektergebnisse weiter zu verbreiten, wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit eine eigene Website betrieben sowie ein vierteljährlich erscheinender Newsletter veröffentlicht. Darüber hinaus sollen regelmäßige Kampagnen die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe dazu befähigen, sich in ihrem Alltag mit den Themen auseinanderzusetzen und diese auch für ihre Kommunikation zu nutzen, um andere Menschen oder Institutionen zum Mitmachen oder Nachahmen zu bewegen.
Gestützt wird dieses Konzept durch regelmäßige Veranstaltungen für Fachkräfte im Rahmen von jährlichen Praxisworkshops sowie mit Fachtagungen, die sich an die Fachkräfte, die Wissenschaft und die interessierte Öffentlichkeit richten. Für Jugendliche werden Social Media Workshops angeboten, um sie sprachfähig für das Erlebte zu machen.
Parallel dazu soll an einem Curriculum zum/zur Waldpädagog*in für den Bereich der Hilfen zur Erziehung gearbeitet werden, das in der Praxis erprobt und weiterentwickelt wird.
Das Projekt wird im Rahmen einer Evaluation wissenschaftlich begleitet, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu unter-suchen. Mit den Projektergebnissen besteht dann eine belastbare Grundlage für eine weitere Diskussion über die Verstetigung und Verankerung von Biodiversitäts-, Um-welt- und Naturschutzthemen in den Konzeptionen der Erziehungshilfeeinrichtungen.

Wie kann ich an dem Projekt teilnehmen?
Eine Teilnahme an Natur (er)leben ist auf mehreren Ebenen möglich. Die Fachtagungen und Workshops richten sich an interessierte Fachkräfte aus den Hilfen zur Erziehung, der Forstwirtschaft, dem Naturschutz, der BNE etc.. Einrichtungen aus der (teil)stationären Erziehungshilfe können darüber hinaus sowohl an den Kampagnen als auch an den Waldwochen teilnehmen. Zu den Waldwochen können sich aus-schließlich Gruppen ab 12 Personen (Jugendliche und pädagogische Fachkräfte zusammengezählt) aus (teil)stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen anmelden. Die Waldwochen sind für Jugendliche ab 12 Jahren konzipiert und finden im gesamten Bundesgebiet statt. In der Anmeldephase werden zunächst die Spezifikationen der Jugendhilfeeinrichtung geklärt: Eine Waldwoche lieber regional oder mit den Jugendlichen weiter weg-fahren? Einfache Gruppenunterkunft oder lieber zelten? Mit diesen Angaben versucht der Bergwaldprojekt e.V. die passende Waldwoche für die Einrichtung zu finden. Erst wenn der Ort und die Unterkunft feststehen, erfolgt eine verbindliche Anmeldung. Etwa sechs bis acht Wochen vor der Waldwoche findet ein Vortreffen zwischen der Projektleitung des Bergwaldprojektes e.V., den Jugendlichen und den begleitenden pädagogischen Fachkräften statt. Hier werden weitere Fragen rund um die Waldwoche geklärt: Welche Arbeiten stehen an? Welche Ausrüstung wird benötigt? Welche Ausrüstungsgegenstände können vom Bergwaldprojekt e.V. entliehen werden? Gibt es Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die berücksichtigt werden müssen? Welche Freizeitmöglichkeiten gibt es in der Waldwoche? Es wird eine Packliste ausgehändigt und vieles mehr. Anmeldungen und Fragen zum Projekt können an Verena Wenthur-Özşahin, (s. unten) gerichtet werden.
Das Projekt „Natur (er)leben! Kinder- und Jugendhilfe packt an“ ist auf sechs Jahre (08/23 – 07/29) angelegt und wird gemeinsam vom Bergwaldprojekt e. V. und dem Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe (BVkE) e. V. durchgeführt. Es wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert.

Autorinnen und Kontakt:
Catja Teicher, Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe (BVkE) e. V.
Projektleitung Natur (er)leben!
catja.teicher@caritas.de
und
Verena Wenthur-Özşahin, Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe (BVkE) e. V.
Referentin Natur (er)leben!
verena.wenthur-oezsahin@caritas.de

Weitere Informationen: www.bvke.de/projekte/natur-erleben/natur-erleben