Ein Plädoyer, die „grüne“ Fachkräftefrage auch als Teil der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wahrzunehmen. Und eine Einladung sowohl an BNE- als auch an Berufsorientierungsakteur*innen für ein gemeinsames Verständnis. Denn mit Blick auf Ziele, Methoden, Strukturen und Probleme haben sie mehr gemeinsam, als sie trennt.
Jedwede Bildung – und eine Bildung für nachhaltige Entwicklung erst recht – hat einen Zweck. Man mag darunter völlig zu Recht auch den Selbstzweck im Sinne einer Persönlichkeitsbildung verstehen und man mag ein solches Verständnis mit noch größerem Recht scharf von Verwertungsabsichten und ökonomischen Interessen abgrenzen. Dennoch setzt Bildung immer an expliziten und impliziten Erfordernissen an, auf die Bildung Antworten in Form zu entwickelnder Kompetenzen geben soll. Schulische Bildung wäre sinnlos, wenn dahinter nicht Ideale eines „gebildeten Menschen“ stünden. Und außerschulische Bildung wäre ebenso überflüssig, wenn sie nicht auf die Vermutung gründete, dass manche Kompetenzen in einem nonformalen Setting besser zu fördern sind. Auch eine Bildung für nachhaltige Entwicklung ist nicht zuletzt im Anspruch entstanden, einen wesentlichen Beitrag für eben eine solche nachhaltige Entwicklung zu leisten.
Wenn das „um zu“ einer BNE also auf nachhaltiges Denken und Handeln zielt, dann ist es eigentlich unverständlich, warum berufliches Denken und Handeln nicht unhintergehbarer Teil des Nachhaltigkeitsansatzes sein sollte. Dass sich BNE und die Erschließung von individuellen beruflichen Handlungsmöglichkeiten bislang recht wenig zu sagen haben, ist sachlich kaum zu erklären, sondern dürfte wohl am ehesten in der historischen Genese der BNE-Bewegung gründen, die mit Berufsorientierung, Berufsfelderschließung oder gar beruflicher Bildung traditionell nicht viel am Hut hatte. Der Bildungszweck als solcher, nämlich Menschen mit schulischen und außerschulischen Aktivitäten in ihrer berufsbezogenen Kompetenz beispielsweise im Umwelt- oder Klimaschutz zu stärken, ist damit aber durchaus nicht in Frage gestellt. Und angesichts eines dramatischen Fachkräftebedarfs in einer dekarbonisierten deutschen Wirtschaft ist der Handlungsbedarf wohl unabweisbar: So wichtig Änderungen im privaten Handeln oder in individuellen Konsummustern für eine nachhaltige Entwicklung sind, so wenig werden die ohnehin schon nicht besonders ambitionierten deutschen Klimaschutzziele ohne Rückgriff auf berufliche Kompetenzen zu erreichen sein.
Das ist mitnichten ein Plädoyer, die ganze Vielfalt bestehender BNE-Ansätze nun auf die zunehmend kritischer werdende Fachkräftefrage auszurichten. Berufsorientierung, Unterstützung in der Wahl von Ausbildung und Studium oder gar berufliche Bildung ist natürlich selbst unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten keine primäre Aufgabe aller kleinen und großen Bildungsträger im BNE-Bereich, sondern in den einschlägigen formalisierten Strukturen – also im öffentlichen „Pflichtbereich“ von Bildung und Berufsorientierung – gut und richtig aufgehoben. Aber es wäre eine kaum nachvollziehbare Verschwendung von Bildungschancen, wenn in der Vielfalt der BNE-Ansätze nicht auch kommuniziert würde, dass man den Einsatz für Nachhaltigkeit ebenso beruflich betreiben kann.
Wenn also der Zweck einer BNE nicht grundsätzlich mit dem Zweck einer Berufsorientierung für den Umwelt- und Klimaschutz im Konflikt liegt, dann gilt dies für die methodische Deckungsgleichheit noch viel mehr. Denn auch eine Berufsorientierung ist – zumindest, wenn sie nicht interessensgeleitet ausgeformt wird – ja keine „Berufslenkung“, sondern ergebnisoffene Bildung im eigentlichen Sinne. Und in diesem Punkt haben sich BNE und „grüne“ Berufsorientierung methodisch eine Menge zu sagen. Zunächst einmal geht es beiden nicht um die Indoktrination, sondern um die Erschließung von individuellen Handlungskompetenzen. Konkret ist eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Berufsorientierung genauso wenig PR-Arbeit für vermeintlich grüne Berufe wie eine BNE das Predigen von Nachhaltigkeitsidealen ist. Vielmehr ist beides ergebnisoffen und schafft nur die Voraussetzungen für kompetente Entscheidung. Alles andere wäre mit Blick auf die Vielfalt der beruflichen Einsatzmöglichkeiten einerseits und die Vielfalt der Kompetenzen, Neigungen und Wertemuster „der zu Orientierenden“ auch verantwortungslos und fahrlässig. Zu einer ergebnisoffenen und (im Sinne des Beutelsbacher Konsens) „nicht überwältigenden“ Berufsorientierung gehört im Übrigen auch, sich mit nachhaltigkeitsbezogenen Zielkonflikten in der Arbeitswelt zu beschäftigen. Denn weder ist jeder grüne Job automatisch ein guter Job, noch lässt sich im Arbeitsleben Nachhaltigkeit in Reinform umsetzen. Diese Zielkonflikte offen anzusprechen oder sie sogar als didaktische Chance zu begreifen, unterscheidet eine „grüne“ Berufsorientierung von den Greenwashing- und -branding-Kampagnen von Verbänden und Arbeitgebern, die die Klimasensibilität insbesondere der jungen Generation natürlich längst als Rekrutierungsargument aufgegriffen haben. Oder um noch ein weiteres Beispiel für die methodische Kongruenz von nachhaltigkeitsbezogener Berufsorientierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung zu liefern: Es nützt in beiderlei Perspektive recht wenig, nur theoretisch über Nachhaltigkeitsansätze bzw. berufliche Einsatzmöglichkeiten zu referieren. Wirkung zeigen Aktivitäten erst, wenn sie Praxiserfahrungen und damit konkrete Handlungsmöglichkeiten erschließen. Nicht ohne Grund sind praktische Elemente wie Experimente, Praxistage und Workcamps oder Exkursionen sowohl in der Berufsorientierung als auch in der BNE so weit verbreitet. Sollen theoretische und abstraktive Wissensinhalte in Handlungsoptionen und die Erfahrung der eigenen Wirkmächtigkeit übersetzt werden, kann die Vermittlung logischerweise nicht bei Frontalunterricht und einseitigen Lehr-referaten stehenbleiben.
Die Liste von didaktischen Schnittstellen zwischen einer „grünen“ Berufsorientierung und nachhaltigen Bildungsansätzen ließe sich sicherlich noch fortsetzen, z.B. im Anspruch auf Partizipation der Zielgruppe, der methodischen Vielfalt, der Multiperspektivität oder dem Verständnis als interdisziplinäre Querschnittsaufgabe. Die Liste der bisherigen Probleme im Übrigen auch, denn auch die umwelt- und klimabezogene Berufsorientierungsarbeit krankt derzeit noch an mangelhafter Verstetigung, Problemen in der Professionalisierung des Bildungspersonals oder eines weit verbreiteten Einzelkämpfertums. Angesichts dieser Kongruenz in den Bildungszielen und der Parallelität von strukturellen Problemen ist es deshalb auch nur folgerichtig, dass sich im Netzwerk Grüne Arbeitswelt – dem bundesweit wohl wirksamsten Akteursverbund zu Berufsorientierung und grüner Fachkräftefrage – nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Schulen, Unternehmen, Verbände und Fachinstitutionen versammelt haben, sondern auch eine ganze Reihe von außerschulischen Bildungspartnern. Hierunter ist neben kleineren und größeren Vereinen, Stiftungen, Museen und Bildungseinrichtungen auch die ANU Hessen als außerschulischer Akteur geführt, die die Frage nach dem künftigen „Transformationsnachwuchs“ noch stärker in ihre Bildungsaktivitäten einbinden wird. Und selbst in der Struktur ähneln sich das Netzwerk Grüne Arbeitswelt und die ANU insofern, als sich die Aktivitäten des Netzwerks künftig noch stärker in regionalen Ansätzen und damit in den vier neuen Regionalstellen spiegeln werden. Denn auch die notwendige Vernetzung möglichst vieler Akteure, die sich mit ihrem je eigenen Blick mit der Frage der grünen Fachkräfterekrutierung beschäftigen, ändert nichts daran, dass konkrete Aktivitäten lokal vorbereitet und durchgeführt werden.
Auch wenn die genannten außerschulischen Bildungsakteure und das Netzwerk Grüne Arbeitswelt selbst schon eine ganze Reihe von „BNE-konformen“ Materialsammlungen und didaktischen Konzepte publiziert haben, bleibt eine ganze Menge zu tun. Während sich nicht wenige BNE-Akteure das Thema Berufsorientierung wohl erst noch erschließen müssen (und in diesem Zusammenhang natürlich herzlich im Netzwerk willkommen sind), gilt auch umgekehrt der Imperativ, dass die arrivierten Institutionen der Berufsorientierung bzw. Unternehmen und Verbände sich noch weiter von klassischen Vermittlungsansätzen lösen und noch stärker mit den Chancen einer nachhaltigkeitsorientierten Didaktik beschäftigen müssen. In jedem Fall steckt – auch das sind zentrale Ergebnisse zweier jüngerer Fachtagungen – hier im Austausch der beiden bislang noch zu wenig verbundenen Bildungsbereiche das Potenzial, didaktisch und inhaltlich voneinander zu lernen, sich als zwei Teile eines größeren Bildungsprozesses zu begreifen und die Adressatinnen und Adressaten nicht nur punktuell, sondern konzertiert im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung anzusprechen.
Autor und Kontakt:
Krischan Ostenrath Wissenschaftsladen Bonn e.V.
Leiter des Fachbereichs Arbeitsmarkt und Koordinator des Netzwerk Grüne Arbeitswelt.
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