Digitale (mobile) Medien in der Umweltbildung und BNE - Ein Modell zur Planung digitaler Bildungsangebote

Die „Große Transformation“ bezeichnet in der Umweltbildung und BNE meist die normative Entwicklung zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Gleichzeitig verändert die Digitalisierung unsere Gesellschaft mindestens ebenso umfassend. Denn Medien bilden nicht mehr nur die Realität ab, sondern sind ein Teil der Realität geworden (Stengel et al., 2017). Diese beiden Entwicklungen haben (noch) wenig miteinander zu tun, doch zeigen sich in ihrer Verbindung große Potentiale ? wie auch Herausforderungen ? für die Bildungsarbeit (s. Lude et al., 2013). Die vielfältigen Methoden der Umweltbildung und BNE haben durch digitale Medien zusätzliche Werkzeuge bekommen. Diese werden auch nicht mehr verschwinden und die Frage ist, wie sie sich gewinnbringend einsetzen lassen.

Erste Ansätze gab es schon sehr früh in den Anfängen der sogenannten Umwelt­er­zie­hung mit „Fish Banks“ oder „Ecopolicy“, die inzwischen Klassiker zur Modellierung kom­plexer Sys­teme sind. Die Steigerung der Leis­tungs­fähigkeit und die weite Verbrei­tung mobiler Endgeräte (Smartphones und Tablets) haben diese Entwicklung in den letzten Jahren beschleunigt, wie die Studie mobiLU zeigt (Lude et al. 2013). Dort wurden zum ersten Mal systematisch „Di­daktische Dreh­bücher“ für den Einsatz mobiler digi­taler Medien in der BNE kon­zipiert, die das Lernziel, die Rahmen­be­dingungen und die Struktur des Lern­an­gebotes definieren.

Primat der Didaktik

Sie geben für digitale Angebote vor, was bei jedem Bildungsangebot grundlegend ist: Zuerst muss das Lernziel festgelegt werden, dann werden Rahmenbedingungen wie die Zielgruppe, der Zeitumfang oder der Ort definiert. Erst im dritten Schritt folgt die Auswahl der Methoden, die zur Erreichung des Lernziels geeignet sind. Diese können dann digital, aber auch nicht-digital sein. In diesem Artikel liegt der Schwerpunkt auf mobilen digitalen Medien, weil sie durch die Verbindung des Naturraums mit einer digitalen Ebene mehrere Vorteile bieten:

- Sie finden im Freien statt, bieten also zusätzliche Naturkontakte.

- Sie bringen komplexe Sachverhalte an die spezifischen Orte des Lerngegen­stands und erhöhen so die Authentizität des Lernens.

- Sie lassen den Lernenden Freiräume für eigenes Erkunden und die Steuerung des Lernprozesses.

Dazu gibt es inzwischen einige Studien, die die positiven Wirkungen solcher Angebote z.B. auf die Naturverbundenheit, das Umwelt­wissen, die Bewertungskompetenz, die Wertschätzung biologischer Vielfalt oder die – nicht unwichtige – Motivation bzw. Spielfreude der Teilnehmenden belegen. Allerdings ist auch festzustellen, dass die meisten der existierenden Angebote noch klassischen Rallyes oder Geocaching-Touren ähneln und die viel weitergehenden Potentiale der mobilen Endgeräte (noch) kaum genutzt werden.

Das SAMR-Modell

Am Beispiel einer Rallye oder eines Stations­laufes soll gezeigt werden, wann der Einsatz digitaler Technik einen Mehr­wert gegenüber „traditio­nel­len“ Medien bietet. Dafür gibt das SAMR-Modell eine Orientierung (Abb.1, Puente­dura, 2006):

Die unterste Ebene bildet die Substitution, also der einfache Ersatz. Hierbei stehen die Aufgaben der Stationen nicht auf einem ausgedruckten Laufzettel und werden be­ant­wortet, sondern die Bearbeitung erfolgt auf einem Bildschirm. Hier bietet das digitale Endgerät so gut wie keinen didak­tischen Mehrwert. Allenfalls die höhere Motivation der Teilnehmenden, die immer wieder beobachtet wird, rechtfertigt den Einsatz der Technik.

Die zweite Stufe, die Augmentation, bietet geringfügige Verbesserungen gegenüber der Papier/Bleistift-Rallye, z.B. indem die Rechtschreibkorrektur die Eingabe erleich­tert oder eine Vorlesefunktion die Aufgabe präsentiert.

Auf der dritten Ebene, der Modification, befinden sich neue oder stark weiter­ent­wickelte Aufgabenformate: So können z.B. di­­rekt am Ort des Geschehens Videos von Wildtierkameras eingespielt werden oder örtliche Akteur*innen zu Wort kommen, die ihre unterschiedlichen Standpunkte zu einem Nachhaltigkeitsdilemma darstellen. Auf Seite der Spielenden kann statt einer Texteingabe ebenfalls eine Audiodatei oder ein Video aufgenommen werden. Damit können digitale Medien zur Kreativität bei der Lösung von Aufgaben anregen und über eine reine Quizfunktion hinausgehen. Gleichzeitig können sie inklusiv wirken, indem sie Spielenden mit kognitiven Einschränkungen verschiedene Präsenta­tions­formen und Antwortformate anbieten. Hier sind auch GPS- oder Geocaching-Rallyes zu verorten. Die Navigation des Handys ermöglicht eine Wegeführung ohne temporäre oder festinstallierte Schilder bzw. Richtungspfeile. Interessante Orte können zielgenau angesteuert werden und auch die Erreichung dieses Ortes kann schon als Ergebnis gewertet werden. Mit der Präsentation einer vollständigen (digitalen) Karte des Spielfeldes kann die Routen­findung komplett an die Spiel­gruppen abgegeben werden und so die Selbst­bestimmung der Teilnehmenden ge­stei­gert werden. Außerdem können Staus und Verzögerungen auf einem gege­benen Rundweg vermieden werden. Dies wäre mit einer gedruckten Karte, auf der die Stationen eingezeichnet sind, auch möglich. Die digitale Positionsbestimmung macht aber die Orientierung und im Zweifelsfall die Rückkehr zum Ausgangsort für die Spiel­gruppen wesentlich einfacher als eine topo­graphische Karte des Geländes.

Die Grenze zur höchsten Stufe, der Redefinition, ist nicht ganz einfach zu zie­hen, denn ein Maximum ist nicht absehbar. Grundsätzlich sind darunter Aufgaben zu verstehen, die überhaupt erst durch digitale Technik möglich sind. Sie benötigen Zu­gang zum Internet, Sensoren, und/oder Rechenkapazität zur Bearbeitung der Auf­gaben. So kann die Text- oder Bildeingabe automatisch auf ihre Richtigkeit überprüft und gewertet werden. In Abhängigkeit vom Ergebnis könnte dann der weitere Verlauf der Rallye hinsichtlich der nächsten Aufgabe oder des nächsten Ortes ange­passt werden. Damit könnten für unter­schiedliche Gruppen individuell adaptierte Spielgeschichten entstehen.

Um einiges komplexer sind (ökologische) Simulationen, die direkt in den entspre­chenden Naturraum verlegt werden. So können die Spielenden auf einer extensiv be­wei­deten Fläche die Rolle des Schä­fers/der Schäferin übernehmen und in meh­reren Runden versuchen, die Fläche für den Naturschutz offen zu halten und gleich­zeitig einen wirtschaftlich funktionierenden Betrieb aufzubauen. Oder sie können ver­schie­dene Schutzmaßnahmen auspro­bieren, um die örtliche Population der Wild­katze zu erhalten.

Mit Augmented Reality (AR), die beim Blick durch das Smartphone digitale Elemente in der Landschaft platzieren, können zeitliche Verläufe dargestellt werden, die sonst schwer überschaubar wären. Eine Zeitreise über Jahrhunderte könnte die Entwicklung einer Landschaft bis hin zu zukünftigen Auswirkungen z.B. des Klimawandels sicht­bar machen.

Mit Aufgaben aus dem Bereich Modification und Redefinition legen digitale Medien eine zusätzlich Ebene über die physische Land­schaft: Es können ortsbezogene Geschich­ten erzählt, Dokumente präsentiert und (ökologische) Vorgänge simuliert werden, die sonst im Verborgenen bleiben würden. Im besten Fall hat dieser Ort, z.B. ein Naturschutzgebiet, nach dem Spiel eine höhere Attraktivität und Relevanz für die Teilnehmenden als vorher.

Mobile Spiele auf der Ebene der Modi­fication und teilweise auch der Redefinition lassen sich mit etablierten Tools wie Action­bound[1]oder Taleblazer[2]selbst erstellen. Andere Projekte, die das technische Poten­tial weiter ausschöpfen sind die Geogames von FindeVielfalt[3], die ver­schie­dene Simu­la­tionen in ortsbasierte Spiele integrie­ren oder BeeActive[4], das die Daten­bank und die Funktionen der Bestim­mungsapp FloraIncognita mit einem vir­tuellen Imker­spiel verbindet.

Die Werkzeuge für den Einsatz digitaler Medien in der Umweltbildung und BNE sind also vorhanden, sie sollten aber didaktisch gut begründet und zielführend eingesetzt werden. Die Potentiale sind hier noch lange nicht ausgeschöpft und es öffnet sich ein großer Spielraum für innovative Projekte.

Literatur

Lude, A., Schaal, S., Bullinger, M., Bleck, S. (2013): Mobiles, ortsbezogenes Lernen in der Umwelt­bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der erfolgreiche Einsatz von Smart­phone und Co. in Bildungsangeboten in der Natur. Balt­mannsweiler: Schneider Hohengehren.

Puentedura, R. R. (2006): Transformation, Techno­logy, and Education.www.hippasus.com/resources­/tte, zuletzt geprüft am 09.07.2022.

Stengel, O., van Looy, A., Wallaschkowski, S. (Hg.) (2017): Digitalzeitalter – Digi­tal­gesellschaft. Das Ende des Industrie­zeitalters und der Beginn einer neuen Epo­che.1. Auflage 2017. Wiesbaden: Sprin­­ger Fachmedien

 

Autor und Kontakt:

Dr. Joachim Schneider

Naturerlebniszentrum Rhön

joachim.schneider@reg-ufr.bayern.de

www.nez-rhoen.de

 

[1] www.actionbound.de

[2] www.taleblazer.org

[3] www.biodivlb.jimdo.com

[4] www.beeactive.app