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Titelthema - UNESCO Learning Cities
UNESCO Learning Cities: Wie Kommunen voneinander lernen können
„When urban communities are engaged in policy and decision making, and empowered with financial resources, the results are more inclusive and durable. Let’s put our communities at the heart of the cities of the future."
(UN Secretary-General António Guterres)
Vorwärts in eine nachhaltigere Zukunft: E-Mobility fördern, Windenergie ausbauen und Geflüchtete anständig unterbringen: Egal, was die Mächtigen unserer Regierungen „da oben“ beschließen – letztendlich kommt alles „ganz unten“ auf der lokalen Ebene an und passiert dort. Die Kommune ist der Ort, wo die Politik auf die Bürgerin und den Bürger trifft. Die Frage ist nur, wie die Menschen darauf reagieren, ob sie die Vorgaben akzeptieren und die Ziele unterstützen oder nicht. Hier kommt die Bildung ins Spiel. Sie kann Menschen aufklären, befähigen, beteiligen und empowern. Aber können denn auch ganze Städte lernen?
Kommunalpolitiker*innen müssen einerseits den politischen Anforderungen ihrer Regierung, andererseits aber auch den Wünschen der Bürger*innen nach einer möglichst hohen Lebensqualität und Sicherheit entsprechen. Verwaltungen brauchen Konzepte, wie man Wohlstand und eine resiliente Infrastruktur schaffen, Akzeptanz in der Bevölkerung hochhalten und zugleich auch finanziell nachhaltig wirtschaften kann. Nicht leicht, alles unter einen Hut zu bringen.
Betrachtet man das beschlossene Klimaziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist ein Weiter-so gerade auf kommunaler Ebene nicht möglich. Wer heute nicht reagiert, muss in der Zukunft teuer bezahlen. Soeben hat die neue Bundesregierung in Deutschland ihre sehr ehrgeizigen Ziele konkretisiert: das Absenken der CO2-Emissionen bis 2030 von bislang minus 38 auf minus 65 Prozent und die Verdoppelung des grünen Stroms von derzeit 42 auf 80 Prozent. Für Kommunen bedeutet dies, einen Zubau von Wind- und Solaranlagen um das vier- bis fünffache und den Bau neuer Stromnetze und (Fern-)Wärmeversorgungsanlagen. Außerdem sollen die Planungsverfahren beschleunigt werden. Man kann sich gut vorstellen, welche Auswirkungen dies haben wird – von kontroversen und heftigen Diskussionen bis zu ausufernden gerichtlichen Prozessen.
WeltStädtetag
Das Jahr 2008 markiert einen globalen Wendepunkt. Erstmals in der Geschichte lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in großen Städten, Tendenz steigend! Doch die Ansammlung vieler Menschen in großen Städten bringt auch zahlreiche Probleme mit sich: hoher Flächenverbrauch, steigende Wohnraumpreise, erhöhter CO2-Ausstoß pro Kopf, gefährliche Verschmutzung von Luft und Wasser, mehr Slums, hohe Kriminalitätsraten usw. Die Ungerechtigkeit steigt meist, je größer die Städte werden.
Erklärtes Ziel der Vereinten Nationen ist daher eine nachhaltige Stadtentwicklung. Mit ihrem UN-HABITAT-Programm (United Nations Human Settlements Programme) werden besonders Entwicklungs- und Transformationsländer angesprochen. Bislang fanden drei HABITAT-Weltkonferenzen und zehn Weltstädtekonferenzen statt. Der Oktober wurde als Aktionsmonat zum „Urban October“ für Städte ausgerufen und der 31. Oktober zum jährlichen Weltstädtetag erklärt. Aber Bildung? Fehlanzeige.[1]
Auch das Ziel 11 der Sustainable Development Goals (SDGs) formuliert den Ansatz, Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig zu machen.[2] Doch wie können Städte voneinander lernen, um nicht die Fehler der anderen zu wiederholen? Können Städte denn überhaupt lernen?
Die lernende Stadt
Städte können „erblühten“, auch wenn diese „goldenen Zeitalter“ jeweils nur wenige Jahrzehnte dauern. Die Kaffeehäuser von London und die Salons von Paris sind zwei historische Beispiele dafür. Sie zeigen, dass es wichtiger ist, Verbindungen zwischen Menschen und kreative Ideen zu fördern, als einzigartige (technische) Ideen voranzubringen.[3] Kultur und Kreativität spielen eine große Rolle und hierfür müssen Städte öffentliche oder private Lernräume bereitstellen und Begegnungen zulassen.
Hier ist das Subsidiaritätsprinzip von großer Bedeutung. Es besagt, dass notwendige Handlungen und Problemlösungen so weit wie möglich von der kleinsten Einheit, z.B. der Familie oder Kommune, vorgenommen werden sollen. Nur in den Fällen oder Politikbereichen, in denen dies nicht möglich ist, sollen sukzessive größere Gruppen, z.B. der Staat, „subsidiär“ (also unterstützend) eingreifen. Das heißt, die höhere Ebene hat eine prinzipielle Nachrangigkeit,[4] Menschen lernen insbesondere mit- und voneinander. Ausgehend von der „lernenden Gesellschaft“ entstand Anfang der 1970er Jahre das moderne Konzept einer „lernenden Stadt“. Es handelt sich um einen menschenzentrierten und lernorientierten Ansatz, der einen kollaborativen, handlungsorientierten Rahmen für die Arbeit an den vielfältigen Herausforderungen bietet, mit denen Städte konfrontiert sind. Lernende Städte ermöglichen es Bürger*innen, fundierte Urteile und Entscheidungen zu treffen und zu Akteur*innen des Wandels und der Transformation zu werden.[5]
Globales Netzwerk lernender Städte
Das Konzept wurde weiterentwickelt. Im Jahr 1992 legte die OECD eine Studie mit dem Titel „City Strategies for Lifelong Learning“[6] vor. Basierend auf der Analyse verschiedener städtischer Praktiken stellt der Bericht fest, dass Städte die wichtigsten geografischen Einheiten für die Organisation des lebenslangen Lernens sind.
Ausgehend vom internationalen Netzwerk der UNESCO-Schulen (UNESCO Associated Schools Network, ASPnet) entwickelte das UNESCO-Institut für Lebenslanges Lernen (UIL) im Jahr 2012 das „Global Network of Learning Cities“ (GNLC). Heute sind 229 Kommunen aus 64 Ländern an Bord.[7]
Die Mitgliedsstädte sollen ganzheitliche und integrierte Ansätze für lebenslanges Lernen entwickeln und den Menschen und die SDGs in den Mittelpunkt stellen. Neben der Stärkung des Individuums und größerem sozialen Zusammenhalt sollen der wirtschaftliche und kulturelle Wohlstand sowie eine nachhaltige Entwicklung gefördert werden. Weitere Ziele sind der politische Dialog, Partnerschaft und das Peer-Learning (das Lernen auf gleicher Augenhöhe, z.B. unter Gleichaltrigen).
Alle Mitglieder können sich in spezifischen Arbeitsgruppen (Clustern) engagieren und austauschen. Die Themenpalette reicht von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) über Gesundheit, Inklusion und Alphabetisierung bis zu beruflicher Bildung. Neben Megastädten wie Shanghai, Teheran, São Paulo und Mexico machen aber auch viele kleine Kommunen mit weniger als 100.000 Einwohner*innen mit. Gelsenkirchen war übrigens 2017 als erste deutsche Stadt dabei, dann kamen Hamburg (2019) und Bonn (2021). Wer neu einsteigen will, sollte sich zunächst das kurze Video-Tutorial ansehen: “How to build a learning city?”[8] Das federführende UIL bietet Unterstützung beim Aufbau von Bildungskapazitäten und will eine bessere öffentliche Wahrnehmung von lernenden Städten erreichen.
Natürlich ist da auch viel „Hochglanz“ dabei. Städte schmücken sich gerne mit dem UNESCO-Logo. Und nicht immer kommt alles „unten“ bei den Bürger*innen und den Bildungsakteur*innen an, was „oben“ auf kommunaler Leitungsebene verkündet wird. Aber wer gute Beispiele aus der Praxis vorstellt, muss auch die Akteursebene vor Ort kennen und einbeziehen. In vielen Kommunen hapert es noch bei der systemischen Verankerung von BNE. Insbesondere zeigen sich Defizite, wenn man nach der Umsetzung der prioritären Ziele des UNESCO Programms ESD2030 fragt, beispielsweise wie BNE in alle (lokalen) Politikfelder integriert, die Jugend einbezogen oder ein lokaler Aktionsplans für BNE erarbeitet werden soll.
Das Netzwerk tauscht sich auf internationalen Weltkonferenzen aus. Die erste „International Conference of Learning Cities“ (ICLC) fand 2013 in Peking statt, wo die Gründungserklärung gebilligt wurde. Weitere Veranstaltungsorte waren Mexiko Stadt (2015), Cork, Irland (2017) und Medellín, Kolumbien (2019). Zuletzt trafen sich die Mitglieder Ende Oktober 2021 in Yeonsu, Süd-Korea, natürlich größtenteils digital wegen der Corona-Pandemie. Das passende Thema lautete „Vom Notfall zur Resilienz: Aufbau gesunder und widerstandsfähiger Städte durch Lernen”.[9] Wer möchte, kann im Internet die Präsentationen der Bürgermeister*innen auf dem Mayors’ Forum verfolgen, die Berichte aus den sieben Arbeitsgruppen lesen oder die Diskussion einzelner Fachthemen nachverfolgen. Den Bericht des BNE Clusters[10] findet man hier ebenso wie eine Dokumentation guter Beispiele (darunter Hamburg) zur Implementierung von BNE in neun ausgewählten Kommunen.[11]
Neue Strategien für die Zukunft
Diskutiert wurde in Yeonsu auch eine Strategie zur Weiterentwicklung des Netzwerks für die kommenden Jahre.[12] Dabei geht es vor allem um zwei Punkte: eine Neustrukturierung der Cluster und die bessere Finanzierung des stetig wachsenden Netzwerks.
So wird die Zahl der Cluster von sieben auf fünf reduziert. Übrig bleiben: Global Citizenship Education, BNE, Gesundheit und Wohlbefinden, Bildungsplanung sowie Inklusion. Jedes Cluster wird für jeweils zwei Jahre von besonders profilierten Kommunen koordiniert, die Ziele definieren und Arbeitspläne entwickeln. Daneben sollen Expert*innen als „Mentoren“ die Städte unterstützen und lokale BNE-Spezialist*innen ausgebildet werden. Ähnlich wie bereits in Deutschland vorhanden, sollen sich die Mitgliedsstädte auch auf nationaler oder subregionaler Ebene vernetzen und austauschen. Lernende Städte in Afrika sollen besonders unterstützt werden. Eine neue Datenbank für „Peer-Learning“ soll einen Überblick und Zeitplan bieten.
Das Learning Cities Programm verbindet auf hervorragende Weise Lokales mit Globalem. Philosophisch betrachtet wären Learning Cities in der Lage, aus Gegensätzlichem die besten Ansätze heraus zu holen – aus dem lokal und individuell wirkenden „Prinzip Hoffnung“ (Ernst Bloch) und dem global alle Menschen einbeziehenden „Prinzip Verantwortung“ (Hans Jonas).
Autor und Kontakt:
Jürgen Forkel-Schubert, Hamburgs Koordinator des BNE-Clusters der Learning Cities
jfs(at)anu.de
[1] www.unhabitat.org
[2] www.bmz.de/de/agenda-2030/sdg-11
[3] Harald Järche, https://jarche.com/2017/06/network-learning-cities
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Subsidiarit%C3%A4t
[5] www.dvv-international.de/en/our-work/stories/detail/unesco-learning-cities-drivers-for-sustainable-development, Raul Valdez, 2021
[6] www.oecd.org/education/innovation-education/34931642.pdf
[7] https://uil.unesco.org/lifelong-learning/learning-cities/members
[8] https://uil.unesco.org/lifelong-learning/learning-cities/build-learning-city
[9] https://uil.unesco.org/lifelong-learning/learning-cities/fifth-international-conference-learning-cities
[10] https://uil.unesco.org/sites/default/files/doc/5ICLC/iclc5_esd_cluster_report_final.pdf
[11] https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000379535
[12] https://uil.unesco.org/sites/default/files/doc/lifelong-learning/cities/5th-conference/gnlcstrategy2021_2023_en.pdf Nächster Artikel: Hamburg öffnet als UNESCO Learning City ein "Tor zur Welt" für die Bildung