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Oktober 2021: Bildung gegen Rechtsextremismus im Naturschutz
Ausgabe Nr. 316
Inhaltsverzeichnis | nächster ArtikelTitelthema - Bildung gegen Rechtsextremismus im Naturschutz
NaturSchutzRaum
Extrem rechte Akteur*innen und Gruppierungen versuchen zunehmend, den ländlichen Raum zu besiedeln und hier eine kulturelle Vorherrschaft in der Gesellschaft zu erreichen. Ein Teil der Strategie dieser „Kulturrevolution von rechts“ ist eine Diskursverschiebung über Vereine und Erziehungseinrichtungen – insbesondere auch im Kontext des Natur- und Umweltschutzes. Mit dem von der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) initiierten Projekt NaturSchutzRaum soll der strategischen rechten Landnahme durch Bildung und Prävention ein wirksames Mittel entgegengesetzt werden. Ziel ist es, rechtsextrem gefährdete Jugendliche und junge Erwachsene in den ländlich-peripheren Räumen über die Organisationsstrukturen der Natur- und Umweltschutzverbände sowie über Umweltbildungszentren zu erreichen. Es sollen Angebote geschaffen werden, die den Desintegrationspotentialen und den damit verbundenen Radikalisierungstendenzen entgegenwirken. Hierfür werden Aus- und Fortbildungskonzepte für Regelanbieter im Bereich des Natur- und Umweltschutzes sowie für Studierende in den sogenannten „grünen Berufen“ entwickelt, erprobt und schließlich vor Ort eingesetzt und evaluiert.
Seit die Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) von den NaturFreunden und der Naturfreundejugend in 2017 ins Leben gerufen wurde, stieg jährlich die Nachfrage nach Informations- und Bildungsformaten. Auch die Beratungsgesuche nahmen seitdem kontinuierlich zu. Insgesamt wurden seit der Gründung über 300 Formate bundesweit durchgeführt und damit circa 7200 Menschen erreicht. Die alltägliche Praxis zeigte dabei, dass häufig gerade die kleineren Strukturen (auf Landes- und vor allem Kommunalebene) der Natur- und Umweltschutzverbände Information, Beratung und Qualifikation im Bereich Unterwanderung und Instrumentalisierung von Rechts suchten. Mit dem Modellprojekt NaturSchutzRaum, das aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert wird, reagiert die Fachstelle auf diesen besonderen Bedarf und richtet den Fokus auf den naturnahen ländlichen Raum.
Rechte Landnahme – eine Studie
Eine erste Studie[1] belegt, dass eine Vielzahl der Natur- und Umweltschutzverbände in Deutschland, die über den Deutschen Naturschutzring organisiert sind, bereits Erfahrung mit rechtsextremen Gruppierungen und Akteur*innen gemacht haben. Im November 2019 hatte diversu e.V. eine Umfrage bei den Mitgliedsverbänden des Deutschen Naturschutzrings (DNR) zur Verbreitung von Rechtsradikalismus in Natur- und Umweltschutzverbänden durchgeführt. Die Studie ergab unter anderem folgende Ergebnisse: 31,5 Prozent der Befragten gaben an, im Rahmen ihrer haupt- wie ehrenamtlichen Tätigkeiten für ihren Verein bereits Erfahrungen mit Menschen mit rechtsextremen Ideologien gemacht zu haben. Die Erfahrungen reichten von Störungen von Veranstaltungen durch rechtsextreme Personen und Gruppierungen über die Nutzung von Verbandsräumlichkeiten bis hin zu gezielten Kooperationsanfragen. Von dem Versuch der rechten Einflussnahme sind Verbände im gesamten Bundesgebiet gleichermaßen betroffen. Offenbar insbesondere dann, wenn sie sich mit klassischen Naturschutzthemen (wie z. B. Artenschutz), der (ökologischen) Landwirtschaft, der Klimakrise oder mit dem Wolf und der Jagd beschäftigen.
Selbstverständnis und Strategie
In Erscheinung treten Gruppierungen und Akteur*innen der alten und neuen Rechten sowie Player*innen aus dem rechtsesoterischen Milieu, aber auch rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien. Bei der Beantwortung natur- und umweltschutzrelevanter Fragen setzen die genannten antidemokratische Kräfte auf affektive Komponenten. So werden z.B. Fragen nach dem Klimawandel (sofern er nicht von vornherein geleugnet wird) und dem damit zusammenhängenden Rückgang der biologischen Vielfalt mit rassistischer Bevölkerungskontrollpolitik, völkischer Heimatliebe und einem daraus abgeleiteten Bioregionalismus beantwortet. Außerdem werden eine restriktive Migrationspolitik zum Ressourcenschutz sowie Kulturpessimismus und antimoderne Zivilisationskritik als Lösungen präsentiert. Ziel ist die Diskursverschiebung nach rechts innerhalb der Zivilgesellschaft.
Dennoch ist das Engagement extrem rechter Akteur*innen nicht als bloße Strategie zu werten. Rechtsextreme verstehen sich aufgrund ihrer ideologischen Haltung oft als Natur- und Umweltschützer*innen. Sie begreifen Natur- und Umweltschutz als originär rechtes Thema und beziehen sich auf die völkisch-autoritären Traditionslinien des deutschen Naturschutzes.[2] Sie verknüpfen Natur- und Umweltschutz mit sozialdarwinistischen, autoritaristischen und chauvinistischen Ideologien sowie mit Aspekten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Neben dem identitätsstiftenden Moment sind Natur- und Umweltschutzthemen für rechte Gruppierungen aber auch aus Imagegründen interessant. Mit ihnen können extrem Rechte durchaus Sympathien gewinnen und erscheinen anschlussfähig an wichtige gesellschaftliche Anliegen.[3]
Der ländliche Raum als Aktionsfeld
Das gelingt ihnen besonders gut dort, wo demokratisch-zivilgesellschaftliche Strukturen, bedingt durch den demographischen Wandel, Stück für Stück geschrumpft bzw. nahezu verschwunden sind, also in strukturschwachen ländlichen Räumen. Projekte wie „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“, Initiativen wie „Ein Prozent für unser Land“ oder rechtsesoterische Zusammenschlüsse wie die Anastasiabewegung forcieren gezielt die Ansiedlung von extrem rechten bzw. völkischen Siedlern in strukturschwachen Räumen als Bestandteil rechter Landnahme.
Ausgehend von einer ohnehin sehr niedrigen Bevölkerungsdichte ist eine Reihe ländlich-peripherer Räume von Überalterung, Geburtenrückgang und Abwanderung geprägt. Der Bevölkerungsrückgang stellt eine der größten Herausforderungen für ländliche Regionen dar.[4]
Der anhaltende Weggang junger Menschen vom Land in die Stadt sowie die sukzessive Vernachlässigung öffentlicher Infrastrukturen in ländlichen Regionen begünstigen die von extrem rechten Gruppierungen angestrebte „rechte Landnahme“.
Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass der Rückgang der Bevölkerung in den ländlichen Räumen noch etwa bis 2030 anhalten wird.[5] Das Statistische Bundesamt geht in seiner Bevölkerungsvorausrechnung sogar davon aus, dass die östlichen Bundesländer bis 2060 im Durchschnitt 25 Prozent ihrer heutigen Bevölkerung verlieren werden. Schlusslicht wird laut dieser Prognose Sachsen-Anhalt sein, dessen Bevölkerung etwa um ein Drittel zurückgehen wird. Aber auch wohlhabende westliche ländliche Strukturen sehen sich zunehmend mit einem Rückgang an Kindern und Jugendlichen konfrontiert. Für alle ländlichen Regionen gilt dabei: Umso ländlicher die Regionen, desto stärker die Abwanderung junger Menschen. Und: umso ländlicher die Region, desto geringer der Anteil junger Menschen insgesamt.
Außerdem lässt sich beobachten, dass überwiegend besser qualifizierte junge Menschen abwandern (ebenda). Zurück bleiben junge Menschen, die in der pädagogischen Praxis als Individualisierungsverlierer beschrieben werden. Sie sind konfrontiert mit Beziehungsverlusten, unklaren Strukturen in ihrer Lebenswelt sowie mit erlebnisarmen Siedlungsräumen. An die Stelle der sozialen Versorgung und an die Stelle demokratisch-zivilgesellschaftlicher Freizeit- und Kulturangebote treten vermehrt Gruppierungen der extremen Rechten. Sie machen Orientierungsangebote und bieten Möglichkeiten der Vergemeinschaftung. Sie übernehmen wichtige Funktionen des Zusammenlebens und verbreiten in diesen Zusammenhängen ihre antidemokratischen Ideen.
Davon ausgehend ergibt sich aus der Verortung vieler Natur- und Umweltschutzverbände im ländlichen Raum sowie aus der dortigen strukturellen und demografischen Entwicklung eine besondere rechtsextreme Gefährdungslage für diese Verbände sowie für ihre Communities und Netzwerke.
Regelstrukturen stärken
Das Modellprojekt NaturSchutzRaum richtet sich deshalb gezielt an haupt- wie ehrenamtliche Akteur*innen im Natur- und Umweltschutz, die im naturnahen ländlichen Raum tätig sind. Mittels eines mehrstufigen Qualifizierungsprogramms werden sie zu Multiplikator*innen für einen demokratischen Natur- und Umweltschutz.
Die Basisausbildung ist als praxisnahe, berufsbegleitende Weiterbildung konzipiert und vermittelt Kompetenzen für das eigenständige Durchführen von Workshops im Themenfeld Naturschutz, Umweltschutz und Rechtsextremismus. Sie bietet Basiswissen, Methodenkenntnisse, didaktische Prinzipien und Moderationswerkzeuge für die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Darauf aufbauend können die im Basismodul ausgebildeten Multiplikator*innen jährlich an einem Online-Aufbaumodul teilnehmen, das auf bestimmte Themenfelder fokussiert. In 2021 lag der Schwerpunkt des Aufbaumoduls auf dem Umgang extrem rechter Gruppierungen mit der Klimakrise und den erneuerbaren Energien. In 2022 soll die (ökologische) Landwirtschaft in den Blick genommen werden.
In die Zukunft investieren
Neben den haupt- und ehrenamtlichen Akteur*innen im Natur- und Umweltschutz richtet sich das Modellprojekt NaturSchutzRaum zudem an eine weitere Zielgruppe: an Studierende in den „grünen Berufen“. Ausgehend von der Annahme, dass Student*innen des Ökolandbaus, des nachhaltigen Tourismus, der Forstwirtschaft, der Landschaftsplanung, des Naturschutzes und anderer ähnlicher Studiengänge mit hoher Wahrscheinlichkeit im naturnahen ländlichen Raum ihr Tätigkeitsfeld finden, sollen sie präventiv für rechte Ökologie sensibilisiert werden.
FARN entwickelt daher bis Ende 2024 in Kooperation mit unterschiedlichen Hochschulpartnern ein Online-Seminar für Studierende in den grünen Berufen. Auf Basis einer von FARN durchgeführten Onlinebefragung soll das Seminar an den Wissensständen und Bedarfen der Studierenden anknüpfen.
Aktuelle und zukünftige Akteur*innen
NaturSchutzRaum nimmt also bereits aktive und zukünftige Akteur*innen des Natur- und Umweltschutz in den ländlichen Räumen in den Fokus. So werden bestehende und zukünftige zivilgesellschaftliche Strukturen in naturnahen ländlichen Räumen gestärkt. Unterwanderungs- und Instrumentalisierungsversuche werden frühzeitig erkannt.
Die Akteur*innen begreifen sich nicht länger „nur“ als Tätige des Naturschutzes, des regionalen Tourismus, des Ökolandbaus oder der Forstwirtschaft, sondern auch als Demokratiebildner*innen und Förder*innen. Sie setzen der Kulturrevolution von rechts sowie der rechten Landnahme etwas entgegen.
Autor*in und Kontakt: Lukas Nicolaisen (Fachstellenleitung), nicolaisen@nf-farn.de
[1] Gottschlich et al. (2020): Rechte Landnahme. Ergebnisse einer Online-Befragung von Natur- und Umweltschutzverbänden zur Einflussnahme durch rechte Akteur*innen und ihre Ideologien, diversu e.V.
[2] Heinrich et al. (2015): Naturschutz und Rechtsradikalismus. Gegenwärtige Entwicklungen, Probleme, Abgrenzungen und Steuerungsmöglichkeiten, BfN-Skripten 394
[3] ebenda
[4] Bund der deutschen Landjugend e.V. (2017): Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen
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