Beim Dialogforum "Biologische Vielfalt und Bildung für nachhaltige Entwicklung" gingen über 100 Expertinnen und Experten aus Bildung, Naturschutz, Politik und Sozialwissenschaften der Frage nach: Wie und was müssen Menschen lernen, um ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern? Welche Strategien waren bisher erfolgreich und was steht in Zukunft auf der Agenda? In Vorträgen, Arbeitsgruppen mit Impulsen aus der Praxis und den offenen Formaten „Open Space“ und „Marktplatz“ trugen die Teilnehmenden zahlreiche Ergebnisse zusammen.
Bedarf an mehr Bildung
Zum Stand des sog. Gesellschaftsindikators der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) berichtete die BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel: Das Bewusstsein der Deutschen für bio-logische Vielfalt habe sich laut aktueller Studie in den letzten Jahren nicht auffällig verändert und sei noch weit vom 75-Prozent-Ziel des Gesellschaftsindikators entfernt. Markus J.K. Wessel bewertete die Lage aus Sicht des BUND: Trotz detaillierter und ambitionierter Zielsetzungen der NBS sei es bislang nicht gelungen, die Land-, Forst- oder Fischereiwirtschaft so naturschonend zu gestalten, dass der Rückgang von Tier- und Pflanzenarten und deren Lebensräumen, wie z. B. der Auenlandschaften oder artenreichen tropischen Regenwälder, gestoppt werden könnte. Beide Vortragende hielten mehr und bessere Bildung für erforderlich, um die NBS zum Erfolg zu führen. Dazu empfahl Prof. Beate Jessel spezifische Zugänge für die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft und die Orientierung am Alltag der Menschen. Magnus J.K. Wessel betonte, dass zum Lernen im Sinne von BNE auch die Beschäftigung mit politischem Engagement und mit den ge-sellschaftlichen Mechanismen nicht-nachhaltiger Entwicklung gehöre. Zur Sicht der BürgerIn-nen, erhoben in den Naturbewusstseinstudien des BfN, brachte Prof. Karl-Heinz Erdmann weitere kon-krete Bedarfe an die Bildung ein. Es bestehe u.a. ein erhöhter Informationsbedarf zur Naturverträglichkeit von Konsumprodukten und ein Bedürfnis nach Erlebnis von und Zugang zur Wildnis.
Welche Bildungskonzepte und Lernformen sich auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung eignen, erläuterte Dr. Christa Henze von der Uni Duisburg-Essen. Wichtige Prinzipien einer BNE seien u. a. die Förderung von Partizipation, die Verknüpfung von gegenwärtigem Handeln mit zukünftigen Entwicklungen und die Fähigkeit, verschiedene Perspektiven und auch Zielkonflikte auf einzelne Schlüsselthemen nachhaltiger Entwicklung einnehmen, verstehen und bewerten zu können. Biologische Vielfalt biete sowohl positive Zugänge beim Naturerleben als auch Anlässe für anspruchsvolle Lernformen, die interdisziplinäres Denken und Arbeiten trainieren. Notwendige Kompetenzen, sich bei gesellschaftlichen Prozessen und in demokratischen Gremien zu beteiligen, könnte z. B. beim Hochwasserschutz oder der Energiewende anhand lokaler und konkreter Anlässe trai-niert werden.
Wiederholt wurde im Dialogforum das Spannungsfeld zwischen ergebnisoffenen Lernprozessen und den gesetzten politischen Zielen, die dringend erreicht werden müssen, angesprochen. Prof. Bernd Overwien, Experte für Politische Bildung, erläuterte den „Beu-telsbacher Konsens“, zum Überwältigungsverbot und Kontroversitätsgebot der politischen Bildung. Zu dieser Thematik bildete sich im „Open Space“ die Arbeitsgruppe „Demokratie, politische Bildung und Partizipation“. Festgehalten wurde: So wichtig Anregungen für naturverträgliche Handlungsalternativen sind, müssen sich PädagogInnen ihrer Aufgabe bewusst sein, kontroverse Sichtweisen auch als solche darzustellen und bearbeitbar zu machen.
Lernen braucht Zeit und Freiräume
Das Thema Mensch-Natur-Verhältnis wurde von Prof. Gebhard ausführlich beleuchtet. Er ging dabei insbesondere auf die emotionale Ebene ein und legte dar, dass die subjektiven, oft intuitiven Bilder und Deutungen, die Menschen zum Thema Natur in sich tragen, ihre Entscheidungen wesentlich prägten. Im Hinblick auf BNE komme es darauf an, genügend Zeit zu haben, um die intuitiven Bilder zu reflektieren und um rationale Zugänge zu ergänzen. Abstinenz von Sachwissen und politischer Bildung sei – bei aller Notwenigkeit erlebnisorientierter, emotionaler Ansätze –nicht angebracht, stellte er fest. Die Anforderung an ausreichende Zeit wurde anschließend noch mehrfach thematisiert. Bildungsakteure und Lernende benötigten für die Erschließung komplexer Zusammenhänge, partizipative Lernprozesse sowie die Einbeziehung vielfältiger Akteure und Lernorte mehr Zeit als oft zur Verfügung steht. Dies war ein mehrfach gezogenes Fazit, z.B. im Podiumsgespräch zwischen Wissenschaft und Praxis oder der Open Space-AG „Freiräume“. Projekte, die insbesondere für junge Menschen Raum und Zeit zur Verfügung stellen, wurden in der AG 3 diskutiert. Die anwesenden jungen Menschen schätzen, beim vorgestellten Projekt des Jugendkongresses sowohl die Erfahrungen der Älteren einholen zu können als auch eigenen Freiräume für ihr Engagement zu erhalten. Modellprojekte wie dieses oder die ebenfalls vorgestellten Medienprojekte für junge, auch bildungsferne Menschen sollten in verlässliche Strukturen überführt werden. Erfolgreich arbeite in dieser Hinsicht bereits das Freiwillige Ökologische Jahr.
Lernen braucht Naturflächen
Das Thema naturnaher Freiflächen als Lernorte beschäftigte die Teilnehmenden intensiv. In urbanen Räumen sollten sowohl dauerhafte naturnahe Flächen als auch temporäre Freiflächen für Bildung und Lernen nutzbar sein. Für Natur in Schulgärten und Kita-Geländen sei noch mehr Raum einzuplanen. Zusammen mit öffentlichen Parks, Gemüsegärten und den Freiflächen von Unternehmen sollten sie bei entsprechender Planung dem steigenden Bedarf an Naturerleben in der Stadt begegnen können. Vorliegende Modellprojekte sollten zur flächendeckenden Umsetzung gebracht werden. Neue und als erfolgreich evaluierte Projekterfahrungen liegen auch zum Thema Wildnisbildung in Nationalparks vor. Dabei komme es, so das Ergebnis der AG 1, darauf an, gezielt einzelne Wildnisflächen für minimal eingreifende Bildungsangebote freizugeben. Für nicht zu betretende Naturschutzgebiete (NSG) wurde bemängelt, dass mancherorts geeignete Kommunikationsstrategien fehlten, um NSG-Vorschriften auch bei hohem Besucherdruck in Ballungsraum-nahen Gebieten durchzusetzen.
„Handprints“ für nachhaltige Entwicklung stärken
Dass Bildung im konkreten Handeln erworben werden kann, war ein weiterer Aspekt, der sich durch viele Beiträge zog. Stellvertretend hierfür stand das aus Indien stammende Bild und Konzept des „Handprints“, das positive Aktivitäten von Menschen zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks in den Mittelpunkt rückt und weltweit immer mehr AnhängerInnen findet. Beispiele für konkretes Handeln und Lernen lieferten die Gemeinschaftsgärten, z.B. in der „Essbaren Stadt“ Andernach oder der Weltacker in Berlin, der Anbau alter Sorten im Umweltzentrum Licherode, die Wildnisküche in Hamburg, die Junior-Landschaftspfleger der Jugendsozialarbeit in Bayern oder Monitoring-Projekte wie der Beach Explorer. Das Lernen in lokalen Projekten könnte dabei von der Etablierung sogenannter Bildungslandschaften profitieren. Hinsichtlich BNE sollten diese darauf ausgerichtet sein, Akteure zu vernetzen die aus mehreren Perspektiven auf ein Thema blicken. In AG 3 wurde hierzu der „Biodiversity Trail“ vorgestellt, der Lernorte wie Apotheke, Lehrgarten und Bioladen miteinander verbindet. Bereits im Vorschulalter liefern solche lokalen Kooperationen ein Grundverständnis für die Komplexität. Nötig sei, so das Plädoyer der AG 5, eine finanzielle Ausstattung für Vernetzungsleistungen.
Ernährung als Schlüsselthema nachgefragt
Das Thema Ernährung bildete beim Dialogforum einen inhaltlichen Schwerpunkt. Benny Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft präsentierte Zahlen zur Entwicklung der globalen Landwirtschaft sowie das – kommunikativ sehr gut ausgearbeitete – EU-Projekt des Weltackers 2000m2. Auf dem Gemeinschaftsgarten am Berliner Stadtrand konnte die Verteilung der globalen Typen von Feldfrüchten simuliert und dabei mit den Beteiligten viele Fragen biologischer Vielfalt und ihrer Verteilung aufgeworfen werden. Auch in der AG 2 bestätigten die Teilnehmenden, dass Projekte zur Ernährung gut geeignet seien, um die Verbindung zwischen der lokalen zur globalen Ebene herzustellen und dass mit diesem Thema die Menschen gut zu erreichen wären. Die AG schlug eine landesweite BNE-Kampagne vor, um Ernährung, Biologische Vielfalt, Genuss und Verantwortung sowie nachhaltige Stadtentwicklung als Themen zu verbinden. Die beim Thema Landwirtschaft ebenfalls wichtige ökonomische Perspektive wurde durch die Open Space-AG „Postwachstumsgesellschaft“ vertieft, die zum Ergebnis kam, das BNE nicht erfolgreich sein könne, wenn nicht auch dieses Thema grundsätzlich angegangen würde.
Impulse für Weltaktionsprogramm BNE
In die Diskussionen des Dialogforums flossen die Inhalte des neuen Weltaktionsprogramms BNE ein, das durch Ines Margraff von der Deutschen UNESCO-Kommission und Annette Dieckmann von der ANU vorgestellt wurde. Für die Jahre 2015 bis 2019 hat es zum Ziel, die Ergebnisse der BNE-Dekade institutionell zu verankern. Die Vorschläge zu den fünf prioritären Handlungsfeldern (Bildungs- und Nachhaltigkeitspolitik, Lehrende, junge Menschen, Bildungsinstitutionen und die lokale Ebene) konnten durch die Ergebnisse des Dialogforums an Konturen gewinnen.
Das Dialogforum machte einen Reichtum an konzeptionellen Überlegungen und erfolgreichen pädagogischen Modellprojekten sichtbar, die sowohl das Bewusstsein für Biologische Vielfalt als auch das tatsächliche Handeln zu ihrem Erhalt fördern. Wie groß der zukünftige Beitrag der BNE für die NBS sein wird, dürfte davon abhängen, ob weiterhin eine fachliche Zusammenarbeit der Bildungs- und Naturschutzakteure gelingt, ob neue Zielgruppen vermehrt – auch durch berufliche Aus- und Weiterbildung – angesprochen und ob der Weg vom Projekt zur Struktur gelingt so dass gute Bildungsangebote im schulischen wie im außerschulischen Bereich noch besser verankert und flächendeckend erreichbar sein werden.