Zertifizierung: Mehr gute Bildung für nachhaltige Entwicklung

In der außerschulischen Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bieten viele Bundesländer Freiberufler*innen und Bildungseinrichtungen die Möglichkeit zur Qualitätsentwicklung mit Zertifikat. Vorreiter waren die norddeutschen Bundesländer mit der NUN-Zertifizierung. Eine sinnvolle Sache.
 
I. BNE als öffentlicher Auftrag
Das Jahr 2005 kann als Beginn einer neuen Ära für die Bildung weltweit betrachtet werden. In diesem Jahr starteten die Vereinten Nationen ihre Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005-2014)“. Das erklärte Ziel, das von allen UN-Mitgliedsstaaten – auch von Deutschland – unterschrieben wurde, war die Verbreitung des Nachhaltigkeitsgedankens über die Bildung und seine Verankerung in allen Bildungsbereichen.
Im selben Jahr veröffentlichte die United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) eine leider nur wenig beachtete Strategie mit Aktionsprogramm zur Bildung für nachhaltigen Entwicklung1. Die Mitgliedsstaaten sollten dadurch ermutigt werden, BNE in der formalen Bildung curricular zu integrieren und auch in der non-formalen und informellen Bildung zu verankern.
Ebenfalls 2005 forderte eine Arbeitsgruppe von deutschen Hochschulen in der sogenannten „Lübecker Erklärung: Hochschulen und Nachhaltigkeit“ die Entwicklung von Konzepten für eine Umgestaltung der Bildungseinrichtungen, die verstärkte Vermittlung notwendiger Kompetenzen an Studierende sowie ein Benchmarking für Hochschulen, „das darüber Auskunft gibt, wie die Aspekte der Nachhaltigkeit in Forschung, Lehre und Transfer [...] wirksam sind“2.  
Seitdem hat der anfangs oft als sperrig bezeichnete und daher unbeliebte Begriff mit der Abkürzung BNE einen grandiosen Siegeszug hingelegt. BNE wird heute als wichtiges, mitunter „unverzichtbares“ Element für eine nachhaltige Entwicklung auf allen Ebenen bezeichnet. In vielen Bildungsplänen und Curricula der Bundesländer darf BNE heute nicht mehr fehlen. BNE wird in unzähligen Fortbildungen und Materialien beworben.
Doch meinen wir alle eigentlich dasselbe, wenn wir von BNE reden? Wie sieht die pädagogische Praxis aus und welche Ergebnisse werden erzielt? Gibt es aus wissenschaftlicher Sicht allgemein anerkannte Qualitätskritierien und entsprechende didaktische Ansätze?

II. Formale Bildung braucht die non-formalen Bildungsanbieter*innen
Da (formale) Bildung Ländersache ist, sind unterschiedliche Ministerien für die Verankerung von BNE in der Bildung und somit auch für die Qualität von BNE zuständig. Im formalen Bereich, z.B. bei Kitas und Schulen, scheint die Verankerung von BNE über die Bildungspläne und Curricula einfach zu sein. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass sie auch gelebt und mit Herzblut umgesetzt wird. Eine Faustregel sagt, dass Veränderungen bestehender Bildungssysteme etwa eine (Lehrer-)Generation Zeit brauchen.
Da Lehrplanrevisionen dauern, nutzen viele formale Bildungseinrichtungen zur Vertiefung ihrer curricularen Inhalte gerne Angebote aus dem non-formalen Bereich, z.B. indem sie Umweltzentren besuchen, Referent*innen aus Eine-Welt-Einrichtungen einladen oder Projekte und Materialien von Verbänden nutzen – meist gegen Kostenerstattung.
Hier hat sich ein spezieller Markt entwickelt, der einerseits über „Mundpropaganda“ funktioniert, andererseits aber auch über Empfehlungen von Behörden oder Bildungszentren, die durchaus auf die Qualität der Angebote achten. Da eine Marktübersicht fehlt, helfen Qualitätssiegel wie z.B. das NUN-Zertifikat, sich aus der Masse herauszuheben. Doch Bildungsanbieter*innen müssen nicht nur BNE „sagen“, sondern es auch „können“. Ihre Kund*innen merken sehr schnell, ob etwas „echt“ ist oder nicht, denn sie erwarten einen professionellen Auftritt und preiswerte Angebote. Wer nicht authentisch ist und durch sein Vorbild überzeugend wirkt, bekommt keinen Auftrag mehr.

III. BNE kann man lernen
Ebenfalls im genannten Jahr 2005 wurde die „Norddeutsche Partnerschaft/NUN“ von den Ländern Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein aus der Taufe gehoben. Hauptziel der Kooperation war es, länderspezifische Beiträge zur UN-Dekade BNE zu leisten, voneinander zu lernen und Doppelarbeit zu vermeiden3.
Dadurch diskutierten die Vertreter*innen aus Verwaltung und Verbänden intensiv darüber, was eigentlich qualitativ gute BNE ist, erarbeiteten neue Qualitätskriterien und feilten an einem länderübergreifenden Vorgehen. Aus Schleswig-Holstein, wo bereits 2004 ein Zertifizierungsverfahren eingeführt worden war, lagen Erfahrungen vor. Auch kritische Stimmen wurden diskutiert, u.a. der hohe Arbeitsaufwand für den Zertifizierungsprozess, die Gefahr eines zu starken staatlichen Einflusses auf die eigene Arbeit oder die Angst vor einem Ranking und Vergleich mit anderen Bildungsanbieter*innen.
Letztendich entschieden sich drei der vier Länder eine Zertifizierung für BNE im außerschulischen Bereich einzuführen, nachdem die Behörden die notwendigen finanziellen Mittel für eine Landes-Koordinationsstelle und zur Durchführung bereitgestellt hatten.
Nach Schleswig-Holstein führten auch Mecklenburg-Vorpommern (2011) und Hamburg (2014) die neue „NUN-Zertifizierung“ ein, 2020 trat Sachen-Anhalt bei. Da das Zertifikat von beiden Länderministerien (Umwelt und Bildung) unterzeichnet wird, stieg die Akzeptanz bei Schulen. Zugleich wurden kostenlose Fortbildungen für Zertifizierte und Interessierte eingerichtet, die sehr praxisorientiert sind und auch eine kollegiale Beratung einschließen.
(NUN-Broschüre zur Qualitätsentwicklung in der außerschulischen BNE unter  www.hamburg.de/nachhaltigkeitlernen/veroeffentlichungen/12338212/nun-broschuere/)

IV. Die Situation in den Bundesländern
Die Umweltministerkonferenz der Länder4 empfahl 2017 eine länderübergreifende Weiterentwicklung von BNE-Zertifizierungsverfahren bei Berücksichtigung folgender Eckpunkte: Freiwilligkeit, thematische und methodische Offenheit, Anschlussfähigkeit zu bestehenden Qualitätssicherungssystemen, partizipative Entwicklung, Transparenz und Praktikabilität, Vertrauen und Kompetenz, individuelle Beratung und Unterstützung, kostenfreie Gestaltung, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, Organisation des Verfahrens, Vernetzung und Verstetigung sowie Evaluation und Indikatorik.
Seit 2014 diente die NUN-Zertifizierung in vielen Ländern als Grundlage für eigene Qualitäsprozesse. Heute gibt es in 11 von 16 Bundesländer ein BNE-Zertifizierungsverfahren mit einem zyklischen Prozess von Bewerbung, Prüfung und Weiterentwicklung: neben den NUN-Ländern auch in Brandenburg (seit 2019), Bayern (seit 2006/ 2016 verbessert), Hessen (2013), NRW (2014 – 2016 Modellphase, seit 2017 Dauerbetrieb), Rheinland-Pfalz zusammen mit dem Saarland (seit 2020) und Thüringen (seit 2018). Die Verfahren unterscheiden sich teilweise z.B. bei der Zahl der Qualitätsbereiche, der Zusammensetzung der Zertifizierungskommission, der Gültigkeitsdauer des Zertifikats und natürlich bei der Zahl der zertifizierten Einrichtungen und Personen.
Aber auch in den übrigen Ländern tut sich etwas. Sie alle haben zumindest eine Empfehlungsliste mit außerschulischen BNE-Angeboten ins Internet gestellt, die nach bestimmten Kriterien ausgewählt werden. In einigen Ländern werden derzeit eigene Zertifizierungsverfahren diskutiert.
In der Berliner Empfehlungsliste stehen entwicklungspolitische Themen für Schulen im Zentrum, daneben gibt es Qualifizierungsworkshops. Baden-Württemberg hat zur Unterstützung seiner Nachhaltigkeitsstrategie das Projekt Future:N! gestartet, das als landesweites BNE-Lernportal vielfältige BNE-Angebote für unterschiedliche Nutzergruppen enthält. In Bremen exisitiert eine Qualitätsentwicklung für den Bereich des Globalen Lernens, bei dem die NUN-Kritierien Verwendung finden. Außerdem gibt es Empfehlungslisten – auch für die Umweltbildung. In Niedersachsen sind die ehemaligen „Regionalen Umweltzentren“ (RUZ) inzwischen zu außerschulischen BNE-Lernstandorten geworden, die nach einem an die NUN angelehnten Kriterienkatalog anerkannt werden. Sachsen hat eine Beratungsgruppe Qualitätskriterien einberufen und eine Studie beauftragt: die Untersuchung „Qualitätsentwicklung und Qualitätsstandards zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der non-formalen Bildung – Übersicht zu Zertifizierungsverfahren in Deutschland und Empfehlungen für Sachsen“ von CivixX (2019)5 schlägt einen partizipativen Prozess mit Erarbeitung gemeinsam getragener Standards und die Einführung einer Zertifizierung vor.

V. Wie geht es weiter?
In vielen Ländern wird ein bundesweiter Austausch befürwortet – es müsste ihn nur jemand organisieren. Er könnte z.B. folgende Fragen klären:

  • Sollte es Vereinheitlichungen der verschiedenen Länderverfahren geben? (z.B. gleiche Qualitätsbereiche, Verfahrensabläufe, Gültigkeitsdauer für das Zertifikat usw.)
  • Könnten Fortbildungen nicht auch länderübergreifend organisiert und besucht werden?
  • Wäre nicht ein abgestimmtes Marketing hilfreich für alle?
  • Wie sieht die BNE Praxis eigentlich aus? (Zertifiziert wird ja das theoretische Angebot)
  • Soll es eine gegenseitige Anerkennung bei Wechsel des Bundeslands geben?
  • Soll eine Zertifizierung als Voraussetzung für staatliche Förderung gelten?
  • Wie weit muss die pädagogische Arbeit mit den Sustainable Development Goals - SDGs verknüpft sein?
  • In welchem Umfang wird von Zertifizierten proaktives Nachhaltigkeitshandeln oder Vorbildverhalten gefordert?

Wichtig ist: Gute BNE in der außerschulischen Bildung sichtbar zu machen! Eine Zertifizierung hilft dabei!

Quellenverzeichnis:
1 www.unece.org/esd-strategy
2
www.nun-dekade.de/fileadmin/nun-dekade/dokumente/service/Luebecker_Hochschulerklaerung.pdf
3
www.umweltbildung.de/1880.html#2664
4
www.umweltministerkonferenz.de/documents/1a_-_top_7_-_bericht_1522238862.pdfhttps://www.umweltbildung.de/http://
5
www.civixx.de/papers/bericht_bne_zertfizierung.pdf

Kontakt:
Jürgen Forkel-Schubert, Hamburg
NUN-Mitgründer, BNE-Berater, Co-Coordinator beim UNESCO-Institut UIL für Learning Cities
forkel-schubertgmxde
www.facebook.com/jurgen.forkelschubert