"Umwelt und Bildung - Denk- und Praxisanregungen für eine ganzheitliche Natur- und Umwelterziehung"

Gerhard Winkel
"Umwelt und Bildung - Denk- und Praxisanregungen für eine ganzheitliche Natur- und Umwelterziehung"
Kallmeyer'sche Verlagsbuchhandlung, Seelze-Velber, 1995, DM 54,-

Der Titel ist Programm: dieses Buch ist Lesebuch und Nachschlagewerk in einem. Bereits die Einleitung gibt viele Anlässe zum Denken: "Sich Ganzheitsreihen vorstellen" oder: "Den Unterricht nach den 7 Feldern ganzheitlich gestalten". Winkel bietet hierzu konkrete Praxisanregungen, z.B. zum Thema Apfel: "Man kann ihn ertasten, riechen, schmecken, seine Schale beim Reiben hörbar machen; man kann sich ein Spiel ausdenken: von der Apfelblüte zum Apfel; man kann Äpfel malen, Gedichte vom Apfel schreiben und leicht auf 20 Themen kommen; man kann aus Äpfeln etas Praktischen machen..." Winkel bietet weit mehr als nur Übungen zum Nachmachen. Sein Buch kann durchaus als didaktisches Grundlagenwerk bezeichnet werden. Es stellt das Thema Umweltbildung in einen ethisch-philosophischen Kontext und liefert die Begründung für die Ziele einer zeitgemäßen Umwelterziehung. Ausgehend von den unterschiedlichen Denkansätzen unseres Abendlandes beschreibt Winkel vier Sichtweisen der Welt und des Menschen sowie die Auswirkungen unseres Handelns auf die Natur. Als Leitidee und somit übergreifendes Erziehungsziel für eine ganzheitliche Umwelterziehung postuliert er "Das Pflegerische" und ordnet es verschiedenen Bereichen der Umwelterziehung zu: der Gesundheit, dem sozialen Umfeld, den Rohstoffen, den Arten usw. Ausführlich beschreibt Winkel die Entwicklungs- und Reifungsphasen bei Kindern und erläutert eine alters- und naturgerechte Erziehung ganz praktisch am Beispiel des Mistkäfers. Er stellt die Bedeutung von Mythen, Religion und Künste für die Umwelterziehung dar und stellt ganzheitliche Ansätze für naturwissenschaftliche Themen am Beispiel Evolution vor (für viele UmweltpädagogInnen ein völlig neues Thema). Das letzte Kapitel widmet sich einer fast unlösbaren Aufgabe, dem Umgang mit Konflikten und schlägt somit eine Brücke zu alltagsbezogenen und zeitgemäßen Problemen im Umweltbereich. Das Buch ist eine fast unerschöpfliche Fundgrube für den Praktiker und bietet zum Teil völlig neue und ungewohnte Herangehensweisen an Themen der Umweltbildung. Es ist ein "Bildung"-Buch, denn es setzt auf die Hoffnung, einsichtiges und verantwortungsvolles Handeln beim einzelnen Menschen durch Bildungsprozesse hervorrufen zu können. Durch dieses Buch sind wir diesem Ziel mit Sicherheit ein Stück näher gekommen. Was aber, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein "goetheanisches" Wirken dem Einzelnen von vornherein als sinnlos erscheinen lassen? Was geschieht, wenn durch fehlende Anerkennung sozialer Leistungen bei sinkender sozialer Sicherheit der einzelne Mensch immer weniger bereit ist, sich zum Wohle der Gesamtheit zu engagieren? Wie kann das bekannte "Gefangenendilemma" des umweltbewußt handelnden Einzelnen in einer Zeit gelöst werden, in der viele Menschen eine Ohnmacht gegenüber Staat und Großindustrie verspüren? Warum sollten junge Menschen nicht einer Leitidee folgen, bei der durch Spekulation am Kapitalmarkt weitaus größere Werte erzielt werden können (zumal es die Großen ständig vormachen), als durch "ehrliche (sprich: pflegerische) Arbeit" - insbesondere wenn diese Arbeit außer Ruhm und einer äußerst ungewissen "besseren Zukunft" nichts einbringt? Welche Vorbilder hat unsere junge Generation denn eigentlich heute und welche rieseln durch die Medien permanent auf sie herab? Dieses sind nur einige der Fragen, zu denen ich mir das nächste Buch von Gerhard Winkel wünsche.