Einheit in der Vielfalt - Lernen in Sieben Linden

Die 150 BewohnerInnen des Ökodorfs Sieben Linden haben den Bildungsbereich ins Zentrum des Selbstverständnisses gestellt und empfangen jährlich etwa 5500 Gäste mit einem vielfältigen Programm. „Einheit in der Vielfalt“, das ist auch ein Motto des Ökodorfes, denn Individualität und Gemeinschaft wollen immer wieder ausbalanciert werden.

Eindrücke: Lernen durch Kontraste

Nach langer Fahrt durch die dünn besiedelte Altmark (Sachsen-Anhalt), endlich in Sieben Linden ankommend, wird allmählich etwas Seltenes hörbar. Stille! Vögel zwitschern und Wind streicht durch die Bäume, Kinderlachen dringt ans Ohr. Auf den ungepflasterten Wegen sieht man Fahrräder, Schubkarren, FußgängerInnen und nur auf dem Parkplatz vor dem Dorf motorisierte Fahrzeuge. Ab hier enden alle Wege in der Natur. Nachts sind die Wege unbeleuchtet, eine Dunkelheit, die einen atemberaubenden Sternenhimmel zaubert. Erlebnisreich: Übernachten im Bauwagen, der Händekreis vorm Essen, das immer geöffnete „Haus der Stille“ und die Komposttoiletten. Die vegan-vegetarischen Biomahlzeiten sind saisonal. Wer im Winter in der Gemeinschaftsverpflegung mit isst, wird sicher zehn verschiedene leckere Rote-Beete-Variationen kennenlernen. Denn die reiche Ernte des vergangenen Sommers lagert im Keller.

Vieles ist ein Kontrast zum Leben der meisten BesucherInnen, besonders einschneidend die Maßnahmen zur Strahlungsminimierung: Kabel-Telefone sind in Betrieb. Das Internet kommt aus einem LAN-Kabel. Das Smartphone hat nur spärlichen Mobilfunkempfang und wird ausschließlich im Flugmodus geduldet. „Entzugserscheinungen“ sind Lernanlässe!

Diese scheinbar beiläufigen Alltäglichkeiten sind es, die so stark wirken, dass sogar der eigene Lebensstil infrage gestellt wird. Auch die gemeinschaftliche Vision, die Feste und das Ringen um partizipative Entscheidungen lassen einen nicht unberührt. Ebenso das Durchhaltevermögen, dieses „Experiment Ökodorf“ 22 Jahre lang immer wieder neu mit Leben zu erfüllen. Und nicht zuletzt das Unperfekte, die Bereitschaft, offen über Schwächen und die kleinen, faulen Kompromisse Sieben Lindens zu reden: „Solange wir über uns selbst lachen können, sind wir auf dem richtigen Weg!“

Eintauchen und Einlassen: Mitleben und Mitarbeiten

Mitarbeitswochen zählen zu den Favoriten unter den Bildungsangeboten. Kaum ein Fachseminar erfreut sich dauerhaft dieser Beliebtheit. Etwa zwanzig Wochen im Jahr helfen Gäste im Selbstversorger-Garten, in der Waldarbeit, beim Einkochen der Ernte und in der ökologischen Geländepflege mit. Ein Rahmenprogramm vermittelt ein Grundverständnis der Ökodorf-Strukturen, der Rest ergibt sich im beobachtenden Dabeisein, in zufälligen Gesprächen beim Essen oder abends bei Biowein im Dorftreffpunkt. Immersionslernen nennt man das neuerdings.

Einzelzimmer: Raus aus der Ökosocken-Nische

In den Anfangsjahren wurde Sieben Linden vor allem von Gleichgesinnten besucht. AussteigerInnen und AktivistInnen holten sich Anregungen, knüpften Netzwerke und schöpften neuen Mut für den gesellschaftlichen Wandel. Sie schliefen überwiegend in 5-Bett-Zimmern oder im Zelt. Besonders das gemeinsam gestaltete, preiswerte Sommercamp mit 200 Gästen war beliebt.

Heute kann sich das Bildungsreferat vor Einzelzimmeranfragen kaum retten (es gibt allerdings bisher nur ein einziges!). Ein Indikator dafür, dass Sieben Linden aus der Ökonische herausgewachsen ist, der „ökobewusste Mainstream“ fühlt sich angesprochen (AussteigerInnen und AktivistInnen sind weiterhin herzlich willkommen!). Die meisten Seminare werden als Erwachsenenbildung gefördert, einzelne Anerkennungen als Bildungsurlaub oder Lehrerfortbildung sind Qualitätssiegel. Das Ökodorf Sieben Linden war zwischen 2006 und 2014 fünf Mal offiziell anerkanntes Projekt der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“.

Das Sommercamp ist mittlerweile zu einer recht professionell organisierten Großveranstaltung geworden. Workshops für alle Generationen bieten einen niedrigschwelligen Einstieg, dieses Jahr zum Thema „low waste – high energy“.

Nun ist nach jahrelanger Finanzakquise mit vielen Höhen und Tiefen endlich ein Traum realisierbar: Das neue Gästehaus in Strohbauweise kann ab 2021 hoffentlich alle Unterkunftswünsche erfüllen, sodass vermehrt auch FunktionsträgerInnen, MultiplikatorInnen, ExpertInnen sowie Gruppen mit eigenen inhaltlichen Schwerpunkten kommen.

Einmal in die Zukunft und zurück: Der Kinder- und Jugendbereich

Sieben Linden selbst hat eine jung gebliebene Bevölkerung mit etwa 40 Kindern und Jugendlichen. Das prägt den Alltag, aber auch die Bildungsangebote.

Wandertage, Exkursionen, Klassenfahrten und FÖJ-Seminare – junge Gäste sind willkommen. Aus zehn verschiedenen BNE-Modulen mit Themen wie „Gemeinschaft – kooperativ und stark“ oder „Ökodorf-Rallye“ können Programme maßgeschneidert werden. Familienfreundliche Seminare mit Kinderbetreuung senden Impulse in die Zukunft. Derzeit ermöglicht das Förderprogramm „Kurze Wege für den Klimaschutz“ kostenlose Veranstaltungen zu den Themen „Mobilität“ und „Bienen und Landwirtschaft“. Neue Module zu globaler Gerechtigkeit und zum ökologischen Fußabdruck sind in Planung.

Die Resonanz aus der Region ist bisher noch etwas verhalten. Eine aktuelle Hauptaufgabe ist deshalb der langfristige Kontakt-Ausbau zu (außer)schulischen Partnern der Umgebung. Die Kinder sind so begeistert und aufnahmefähig, wenn sie erst mal vor Ort sind!

Einbruch bei internationalen Seminaren

Internationales Publikum und englisch- oder französischsprachige Seminare wie der vierwöchige Ecovillage-Design-Education-Kurs gehörten vor einigen Jahren fest ins Programm. Leider passen die EU-Förderprogramme mittlerweile weniger gut, sodass derzeit nur vereinzelt Kurse für „youth leaders“ angeboten werden können, die im BNE-Bereich tätig sind. Ohne finanzielle Unterstützung sind die Kosten für viele weitgereiste Interessierte leider nicht aufzubringen.

Kontakt: Simone Britsch, Bildungsreferentin, Koordinatorin der GEN Akademie, Yogalehrerin. E-Mail: bildungsreferat@siebenlinden.org, www.siebenlinden.org