Naturerlebnis: Raus in die Natur

Studien bestätigen, was Stadtmenschen aus ihrem Alltag bereits kennen: Die Freizeit der gegenwärtigen Kindergeneration verlagert sich zunehmend nach drinnen. Trotz der nachgewiesen positiven Wirkung auf die kindliche Entwicklung scheint es, als seien „wirkliche” Naturerfahrungen im Vergleich zu Erfahrungen in virtuellen Welten immer weniger attraktiv. Woran liegt das und was können Umweltbildungszentren dagegen tun?

In der Forschung ist nahezu unbestritten, dass direkte Naturerfahrung viele positive Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung hat, unter anderem auf die mentale Entwicklung im Bereich Wohlbefinden, Selbstwahrnehmung, Selbst- und Sachkompetenz. So vermindert sich Stress, das Selbstvertrauen verbessert sich und die Konzentrationsfähigkeit steigt. Viele Experten sind sich einig, dass besonders unbeaufsichtigtes und spontanes Spielen außerhalb der Wohnung von großem Wert für die Entwicklung von Heranwachsenden ist. Der Erziehungswissenschaftler und Autor des Buches „Kind und Natur“(1) Ulrich Gebhard betont, dass Natur in kleinen, aber selbstständigen Schritten erschlossen werden sollte. „Naturerfahrung kann nicht verordnet werden. Wenn Natur zum Lernort umfunktioniert wird, kann sie ihre Wirkung nicht entfalten.“(2) Besonders die reflektierenden Gespräche mit engen Bezugspersonen prägen die Naturbeziehung der Kinder. Elterliches Desinteresse an Natur kann auf Kinder „abfärben“. Der Naturphilosoph Andreas Weber stellt fest, dass die Zahl der Kinder, die einfach losgehen und spielen, ohne ihren Eltern genau zu erklären, wo sie sich aufhalten, seit den 1970ern auf ein Zehntel gesunken ist.(3) Es geht also nicht darum, ob Kinder rauswollen, sondern darum, ob Eltern ihre Kinder rauslassen.

Die Naturbewusstseinsstudie 2015 zeigt, dass das Interesse an Natur in der Gesellschaft groß ist. 92 Prozent der Befragten ist es wichtig, Kindern Natur nahezubringen. Mit Natur werden mehrheitlich Gesundheit, Erholung sowie Glückserlebnisse verbunden.(4) Für Fernsehen ist im Freizeit-Ideal kaum Platz. In der Freizeit-Realität sieht das jedoch anders aus. Zu den Top 10 der Freizeitaktivitäten von Familien gehören Fernsehen, Telefonieren, Radio hören, Zeit mit dem Partner verbringen, im Internet surfen, mit den Kindern spielen. Interessant ist, dass viele Eltern mehr Zeit im Internet verbringen, als mit den eigenen Kindern zu spielen.(5) Die Häufigkeit der Freizeitaktivitäten lässt sich jedoch nicht mit der Beliebtheit der Aktivitäten gleichsetzen. So zeigt die AOK-Familienstudie 2014, dass Eltern die schönsten Familienmomente bei gemeinsamen Aktivitäten mit den Kindern erleben, wie bei Mahlzeiten und Gesprächen. Etwa zwei Drittel der Eltern hatten außerdem eine schöne Zeit im gemeinsamen Urlaub, bei Ausflügen, beim Spielen mit dem Kind und dem gemeinsamen Lesen.

Sechs zentrale Gründe wurden identifiziert, warum Familien nicht so oft in die Natur gehen: Zeitproblem, Leistungsdruck, Passivität, Entfernung, Sorgen/Ängste und Medienkonsum. Viele Eltern sehen nicht die Notwendigkeit, ihren Kindern „Natur-Zeit“ zu geben, da die erlernten Fähigkeiten bei Klavier-, Englisch- und Ballettunterricht nützlicher für die spätere Lebens- und Berufslaufbahn erscheinen. Der Wertewandel führt zu einer Verschulung von Freizeit. Auch die steigende Anzahl konsumorientierter Freizeitangebote mit Eventcharakter sowie die zunehmende Ganztagsbetreuung durch Kita und Schule führen zu einem veränderten Freizeitverhalten und kosten Zeit. Zusätzlich wohnen immer mehr Familien weiter entfernt von naturnahen Räumen. Der gewachsene Verkehr und eine an ökonomischen Interessen und nicht an Kinderbedürfnissen orientierte Stadtplanung schränken die Möglichkeiten für das Spiel im Freien stark ein. Ein weiterer zentraler Grund für einen abnehmenden Naturkontakt von Kindern sind Sorgen und Ängste der Eltern, die teilweise selber wenig Naturerfahrung haben. Laut Freizeitwissenschaftler Opaschowski seien auch viele Familien durch Fernsehkonsum daran gewöhnt, alles vorgesetzt zu bekommen und bleiben passiv. Der Drang nach Aktivität kollidiert daher oft mit dem Wunsch nach Ruhe und Abschalten. Im Vergleich zu Menschen in anderen Lebensphasen verbringen Familien deutlich weniger Zeit mit entspannenden Aktivitäten wie „Ausschlafen“ oder „Faulenzen“. Der Freizeit-Monitor zeigt aber, dass sich die meisten Menschen eigentlich Ruhe und Zeit für Entschleunigung wünschen.(5) Genau damit kann man Familien in die Natur locken: mit dem, was ihnen fehlt. Durch Familienbildung, Familienangebote und richtiges Marketing kann Eltern der „Mehrwert“ von Naturerleben nahegebracht werden.

Links und Literatur:
(1) Gebhard, U. (2013): Kind und Natur: Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung. Wiesbaden.
(2) Siehe dazu: www.deutschewildtierstiftung.de/aktuelles/dr-ulrich-gebhard (3) Weber, A. (2013): Das Quatsch Matsch Buch. Das Aktionsbuch, großstadttauglich & baumhausgeprüft. München.
(4) www.bfn.de/fileadmin/BfN/gesellschaft/Dokumente/Naturbewusstseinsstudie2015.pdf
(5) www.freizeitmonitor.de

Sonja Fasbender, M.A. Sozialwissenschaften, Umweltbildungsreferentin
Ute Pfeiffer-Frohnert, Leiterin des Projekts „Familien in der Natur“
www.naturgut-ophoven.de/kompetenzzentrum-umwelt-und-klima/projekte