Ein Erfahrungsbericht aus Baden-Württemberg

In der Vergangenheit wurde es im Rahmen unterschiedlicher BNE-relevanter Kompetenzansätze vielfach als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Lehrkräfte wissen, was sich hinter der Leitidee der nachhaltigen Entwicklung verbirgt und welche Bedeutung dieses Leitbild für den pädagogischen Alltag haben kann. Empirische Untersuchungen und die konkreten Erfahrungen im Rahmen der Implementation von BNE belegen jedoch, dass dies kaum der Fall ist.

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist auch nach zehn Jahren UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ nur in wenigen Fällen in den Köpfen der Lehrkräften präsent und handlungsprägend für den Unterrichtsalltag. Folglich kann bei der Etablierung der BNE im formalen Bildungssystem nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass Lehrkräfte fundierte Kenntnisse darüber haben, welche Bedeutung BNE hat und wie nachhaltige Entwicklung als allgemeine Bildungsaufgabe beziehungsweise selbstverständliche Orientierung in den pädagogischen Alltag in die einzelnen Fächer sowie im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes in die Institution Schule einzubinden ist. Aktuell hängt es somit immer noch sehr stark von der einzelnen Lehrkraft ab, inwieweit nachhaltigkeitsrelevante Themen in den Unterricht aufgenommen werden. Bei der Auswahl der Lehrinhalte spielen persönliche Affinitäten, Interessen und Fähigkeiten eine besondere Rolle. Berücksichtigt werden muss auch, dass es sich beim Themenkomplex der nachhaltigen Entwicklung um eine umfassende Perspektive handelt, die sich die Lehrkräfte kaum autodidaktisch nebenbei aneignen können. Sehr häufig wird BNE auch heute noch eher als eine zusätzliche Aufgabe, als Additum im pädagogischen Alltag einer Lehrkraft verstanden.


Lehrende sollen über den Tag hinaus lernen können
Folgt man dieser ernüchternden Erkenntnis, muss es zukünftig stärker darum gehen, Lehrkräften die Möglichkeit zu eröffnen, sich zunächst die notwendigen Kenntnisse, Einstellungen und Werte anzueignen und dabei auch eine notwendige Motivation zu entwickeln, um die komplexen Themenstellungen einer nachhaltigen Entwicklung in ihrem pädagogischen Alltag angehen zu können. Diese Erkenntnis stellt angesichts der derzeitigen Verankerung der BNE im Bereich der Lehrerausbildung eine zentrale Herausforderung dar.

Im Rahmen der baden-württembergischen Bildungsinitiative „Lernen über den Tag hinaus – Bildung für eine zukunftsfähige Welt“ wurde 2013 von der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg eine Untersuchung zur Bedeutung der „Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Lehramtsausbildung an den baden-württembergischen Hochschulen“ durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich in sechs zentralen Kernaussagen zusammenfassen und machen deutlich, dass BNE in der Lehrerausbildung noch längst keine selbstverständliche Orientierung darstellt:
Die generelle Bedeutung der BNE im Kontext der Lehramtsausbildung wird an baden-württembergischen Hochschulen zwar erkannt, dennoch muss konstatiert werden, dass eine systematische strukturelle wie operationelle Verankerung des BNE-Konzepts in der Lehramtsausbildung an baden-württembergischen Hochschulen derzeit kaum erkennbar ist – die Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens stellt insgesamt kein durchgehendes integratives Paradigma dar. Im Wesentlichen scheinen äußere Faktoren eine systematische und durchgehende Verankerung der BNE in der Lehramtsausbildung an den Hochschulen des Landes zu beeinträchtigen. Die Implementierung erscheint daher aktuell – in vergleichbarer Weise wie in der Schulen und in den Seminaren – hauptsächlich punktuell und personengebunden zu erfolgen. Die Vermittlung der BNE scheint sich nach wie vor auf die „Schlüsselfächer“ Geografie und Biologie zu konzentrieren. Forschung und Entwicklung im Bereich BNE mit unmittelbarer Relevanz für die Lehramtsausbildung findet an den Hochschulen des Landes nur in einem beschränkten Ausmaß statt. Pädagogische Hochschulen scheinen sich mit der BNE in der Lehramtsausbildung stärker aktiv auseinanderzusetzen als Universitäten. Die bisher vorliegenden Erkenntnisse werden 2015 im Rahmen einer vertiefenden qualitativen Nacherhebung bezüglich der Hintergründe der Hemmnisse und Einschränkungen bei der Implementierung der BNE in die baden-württembergische Lehramtsausbildung nochmals in den Blick genommen.


Erste Schritte
In Kenntnis dieser Ausgangslage wurden in den zurückliegenden Jahren in Baden-Württemberg im Kontext der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“  und vor allem seit 2007 im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie erste Schritte unternommen, die dazu beitragen sollen, BNE verstärkt in der Ausbildung von Lehrkräften zu verankern. Hier handelt es sich unter anderem um den Aufbau von Netzwerkstrukturen im Bereich der Hochschule und der Seminare, die Einbindung der BNE in die Rahmenverordnung der zukünftigen BA/MA-Lehramtsstudiengänge sowie in einer systemischen Betrachtung, die Einbindung der BNE als Leitperspektive in die aktuelle Bildungsplanreform im Bereich der allgemeinbildenden Schulen.

Der Aufbau von Netzwerken als Informations- und Kooperationsplattform zum Austausch zu aktuellen Forschungen und die Kooperation zwischen Fachdidaktikern und Fachwissenschaftlern spielt bei der Etablierung der BNE im Bereich Lehramtsausbildung an der Hochschule eine wichtige Rolle. Durch den Austausch von Best-Practice-Beispielen, Erarbeitung von gemeinsamen Stellungnahmen (zum Beispiel zu den Bildungsplänen sowie zur Umstellung der Lehramtsausbildung auf die BA/MA-Struktur) sowie die hochschulübergreifende Vernetzung der Mitglieder innerhalb und außerhalb Baden-Württemberg konnten erste wichtige Impulse gesetzt werden, BNE im Bereich der Lehrerausbildung stärker zu thematisieren.

Neben der Verankerung im Hochschulbereich kommt in gleicher Weise den Seminaren für Didaktik und Lehrerbildung in der zweiten Phase der Lehrerausbildung eine wichtige Rolle zu. Nachhaltige Entwicklung muss auch hier als selbstverständliche Orientierung und als allgemeine Bildungsaufgabe verstanden werden. Um diesen Prozess zu initiieren, wurde in Baden-Württemberg 2014 eine BNE-Qualifizierungsreihe für Multiplikatoren aus dem Bereich der Schulverwaltung und der Seminare durchgeführt. In dieser Qualifizierungsreihe ging es in besonderer Weise um den BNE-relevanten Kompetenzaufbau bei Lehrenden, die im Rahmen ihrer zukünftigen Multiplikatorentätigkeit in die Lage versetzen werden sollten, BNE im jeweiligen Zuständigkeitsbereich verstärkt zu verankern. Die hierzu erstellenden Qualifizierungsmodule werden aktuell überarbeitet und über die baden-württembergische BNE-Onlineplattform der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Aktuell wird von den Multiplikatoren BNE auf der Ebene der Seminare insbesondere im Rahmen von zentralen Einführungsveranstaltungen für die neuen Referendare thematisierte bzw. seminarinterne BNE-Arbeitsgruppen eingerichtet. Die systematische Einbindung der BNE ist in besonderer Weise dem Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung in Meckenbeuren gelungen, die die BNE im Kontext der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung bereits frühzeitig handlungsleitend in das Leitbild des Seminars aufgenommen haben.

Über diese Netzwerkaktivitäten hinaus ist im Rahmen der Umstellung der Lehramtsstudiengänge auf die BA/MA-Struktur vorgesehen, BNE als inhaltliche Vorgabe, als Querschnittskompetenz in der Rahmenverordnung für jedes Lehramt auszuweisen. In einer systemischen Betrachtung wird diese Maßnahme in Verbindung mit der Bedeutung der Leitperspektive BNE im zukünftigen Bildungsplan Wirkungen entfalten, die sich unmittelbar in der Ausbildung der Lehrkräfte an der Hochschule und der Seminare widerspiegeln werden.


Vom Einzelfall zur Struktur
Die hier skizzierten und auf systemische Wirkungen ausgerichteten Maßnahmen stellen in Baden-Württemberg wichtige Schritte dar, um von punktuellen und personenbezogenen Ansätzen zur strukturellen Verankerung der BNE zu gelangen. Gleichwohl sind weitere erhebliche Anstrengungen notwendig, um dem Anspruch einer Ausrichtung der BNE tatsächlich gerecht zu werden.
In diesem Zusammenhang ist als wichtiger Punkt insbesondere die Verankerung der BNE in die jeweiligen Fachsystematiken zu nennen. Nachhaltige Entwicklung muss hier als eine selbstverständliche Orientierung verstanden werden. Dabei ist insbesondere zu klären, welchen signifikanten Beitrag das jeweilige Fach bei der Ausrichtung der BNE leisten kann. Über die Verankerung BNE-relevanter Aspekte erscheint es sinnvoll zu sein, in der Lehrerbildung interdisziplinäres und transdisziplinäres Lernen stärker zu verankern. Die Zielsetzungen der BNE beinhalten neben fachlichen Perspektiven ein Anforderungsprofil in Bezug auf vernetztes Denken, mehrperspektivische Wahrnehmungen und komplexes Handeln. In diesem Zusammenhang sollten Angebote in der Lehrerbildung auch stärker Theorie-Praxis-integrierte Erfahrungsräume im Kontext fächerübergreifendem Lernen ermöglichen.

Insgesamt sollte das Weltaktionsprogramm BNE als weitere Motivation genutzt werden, wie ein BNE-relevanter Kompetenzaufbau bei Lehrenden stärker unterstützt werden kann. Aufgrund der bedeutsamen Multiplikatorenwirkung scheint dies eine der zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre zu sein.


Achim Beule
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

www.bne-bw.de