Bildung und Beteiligung für einen nachhaltigen Strukturwandel

Kinder und Jugendliche sind gesetzlich dazu berechtigt, in allen sie betreffenden Belangen angemessen beteiligt zu werden. Der Kohleausstieg in Ostdeutschland sowie der damit einhergehende Strukturwandel betrifft im besonderen Maße die junge Generation, während deren Möglichkeiten der Einflussnahme und Gestaltung der aktuellen Prozesse vor Ort jedoch sehr gering sind. Immer mehr Projekte und Netzwerke setzen sich mittlerweile dafür ein, die Situation zu verbessern.

Wenn die Bagger schließlich stillstehen – Herausforderung und Chance Struk­tur­wandel

Jahrzehnte lang spielte die Förderung und Nutzung von Braunkohle eine wichtige Rolle für die Menschen im Mitteldeutschen wie auch im Lausitzer Revier. Diese Reviere befinden sich im Osten Deutsch­lands, insbesondere in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Branden­burg. In diesen teils struktur­schwa­chen Regionen hat die Kohle­förderung jahrelang Beschäfti­gungsmöglichkeiten geboten und für Einnahmen gesorgt. Mit dem Tagebau einher gingen stets aber auch starke Umweltbeeinträchtigungen. Im Jahr 2018 sorgten die deutschen Kohle­kraftwerke für rund 30% der deut­schen Treibhaus­gas­emissionen; neben weiteren Emissionen von z.B. Schwefeldioxid, Stickoxiden, Koh­len­monoxid, Quecksilber und Arsen.1Um der Klimakrise zu begegnen, braucht es u.a. eine funda­men­tale Umgestaltung der Energiegewinnung und -nutzung. In den nächsten Jahren werden deshalb die letzten Kohlekraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Der Kohleausstieg bis spätestens 2038 wurde von der Bundes­regierung 2020 beschlos­sen und sorgt seitdem für viele politische und gesell­schaftliche Debatten.
Im Rheinischen Revier wurde eine Verein­barung getroffen, den dortigen Kohle­aus­stieg bereits auf 2030 vorzuziehen. Dazu hat sich das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Bundes­ministerium für Wirtschaft und Klima­schutz und der RWE AG auf wichtige Eckpunkte geeinigt. Im Osten Deutschlands wird dieser Deal durchaus mit Skepsis gesehen. Auch aufgrund der Prozesse im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung und dem damit einhergehenden Struktur­bruch in den Regionen werden negative Erinnerungen und Emotionen geweckt. Im Angesicht der sich verschär­fenden Klima­krise ist ein Festhalten an fossilen Energieträgern jedoch keine Option.
Fraglos sind mit dem Kohleausstieg umfas­sende Trans­forma­tions­prozesse mit weit­rei­chenden Folgen für die Wirtschafts­struktur und die Menschen vor Ort ver­bunden. Diese Veränderungen haben bereits begonnen und es gilt nun, sie auszugestalten. Diese umfassenden Wei­chen­­stellungen für die Zukunft der Re­gionen sollten auch als Chance gesehen werden, die notwendige Transformation in Richtung Nachhaltigkeit anzugehen. Unbe­stritten ist auch, dass die Verände­rungen insbesondere die aktuell junge Generation sowie folgende Gene­rationen betreffen werden. Daher ist es gerade diese Generation, die bei wichtigen Entschei­dungen im Strukturwandel gehört und beteiligt werden sollte.

Junge Menschen ihre Zukunft mitge­stal­ten lassen

Die Wege und Möglichkeiten, junge Men­schen in die Entwicklungen und Ent­scheidungen vor Ort einzubeziehen sind vielfältig und werden von immer mehr Jugendlichen und jungen Erwachsenen gefordert. Auch eine kleine, nicht-repräsentative Jugendbefragung, die wir als UfU im letzten Jahr (2022) unter jungen Menschen zwischen 14 und 27 Jahren (N = 179) in Sachsen, Bran­denburg und Sach­sen-Anhalt durchgeführt haben, zeig­te, welchen Stellenwert das Thema Klima­krise für junge Menschen hat. So erhielt die Antwort­mög­lichkeit „Klimawandel / Klima­krise“ die meis­ten Antworten bei der Ergänzung des Satzes „Die größten Proble­me auf der Erde sind meiner Mei­nung nach...“, gefolgt von „Armut“, „Mangel an Trinkwasser und Nahrung“ und „Krieg und Terrorismus“. Eben­so kann festgestellt wer­den, dass viele junge Leute Lust haben, sich bei Fragen zu betei­ligen und sich ein­zubringen, die sie selbst betreffen.
Auch eine kleine, nicht-repräsentative Jugendbefragung, die wir als UfU im letzten Jahr (2022) unter jungen Menschen zwischen 14 und 27 Jahren (N = 179) in Sachsen, Bran­denburg und Sach­sen-Anhalt durchgeführt haben, zeig­te, welchen Stellenwert das Thema Klima­krise für junge Menschen hat. So erhielt die Antwort­mög­lichkeit „Klimawandel / Klima­krise“ die meis­ten Antworten bei der Ergänzung des Satzes „Die größten Proble­me auf der Erde sind meiner Mei­nung nach...“, gefolgt von „Armut“, „Mangel an Trinkwasser und Nahrung“ und „Krieg und Terrorismus“. Eben­so kann festgestellt wer­den, dass viele junge Leute Lust haben, sich bei Fragen zu betei­ligen und sich ein­zubringen, die sie selbst betreffen. Wieso hapert es dennoch so oft an passender und wirksamer Jugend­be­tei­li­gung? Auf Seite der Befragten, liegt es oft an mangelnder Zeit der jungen Menschen, fehlender Informationen über Angebote zur Beteiligung sowie auch an einem Wissens­mangel über konkrete Mitbestim­mungs­möglichkeiten. Wie kann diesen Herausforderungen be­gegnet werden, wie können Jugendliche zielführend eingebunden werden? Denn Jugend­beteiligung ist nicht bloß „nice to have“, sondern auch rechtlich verpflichtend verankert. Beispielsweise ist in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben, dass Minderjährige das Recht haben, sich bei allen Fragen, die sie betreffen zu beteiligen. Dazu ist im Kinder- und Jugend­hilfegesetz (SGB VIII) geregelt, dass Kin­der und Jugendliche an allen sie betreffenden Entscheidungen in geeigneter Weise zu beteiligen sind (vgl. Art. 8 SGB VIII). Wie verpflichtend die Jugend­beteiligung in den Kommunalverfassungen verankert ist, ist in den Bundesländern unterschiedlich ge­re­gelt.2

Status der Jugendbeteiligung an Struk­tur­wandelprozessen

Trotz dieser gesetzlichen Anforderungen lässt die tatsächliche Umsetzung von Jugend­beteiligung an vielen Stellen noch zu wünschen übrig, auch im Kontext des Strukturwandels. Dabei gibt es mittlerweile einige Ansätze und Handlungs­empfeh­lungen, wie erfolgreiche Beteiligungs­konzepte in den Revieren entwickelt und umgesetzt werde können (siehe z.B.„Studie über die Beteiligung Jugendlicher im Strukturwandel“ S. 10 dieser Ausgabe). Außerdem wurden beispielsweise in einem umfangreichen Planathon („Jugend gestaltet Strukturwandel“3) im Rahmen der Jugendstrategie der Bundes­regierung Vorschläge aus Sicht der Jugend für einen gelingenden Strukturwandel erarbeitet. Fraglich bleibt allerdings, wie die Ergebnisse tatsächlich Eingang in politi­sche Entscheidungen finden. Pas­siert dies nicht, entsteht unter den jungen Teilnehmen­den, die viel Zeit und Gedanken in den Prozess gesteckt haben zunehmend Frust und Enttäuschung.
In Sachsen wurde außerdem kürzlich der Antrag der Linksfraktion „Jugend gestaltet Struk­tur­wandel – Kinder und Jugendliche an der Transformation in den Kohlerevieren direkt und wirksam betei­ligen“ abgelehnt.4In Sachsen-Anhalt haben beispielsweise Repräsentant*innen des Bereichs „Ju­gend“ im Revierausschuss bloß Beisitzer-, jedoch kein Mitentscheidungs­recht. Im Mitteldeut­schen Revier spielen Kinder- und Jugend­belange im Scoring-Verfahren zur Bewertung von Strukturwandelprojekten bislang keine Rolle. Neben zielgruppen­gerechten Mitspracheformaten fehlt zudem eine institutionalisierte Kinder- und Jugend­beteiligung an Struktur­wandel­pro­zessen.

Strukturwandelprozesse gemein­schaft­lich und nachhaltig ausgestalten

Es ist festzustellen, dass in den letzten Jahren insbesondere von Seiten der Zivil­ge­sellschaft einige Projekte und Initiativen gestartet wurden, die das Thema Ju­gend­beteiligung am Strukturwandel in den Blick nehmen und voranbringen wollen. Dazu gehören beispielsweise die Projekte „#Mission2038“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS)5, „Zukunftslabor Land­kreis Leipzig“ vom Kinder- und Ju­gend­­ring Landkreis Leipzig e.V. (siehe S. 7 f. dieser Ausgabe), „Jugend macht Nach­haltigkeit“6des Kinder- und Jugend­rings Sachsen-Anhalt oder das Jugendforum Nachhaltigkeit in Branden­burg.7
Dennoch finden sich Aspekte wie Trans­parenz, Diversität, Niedrig­schwellig­keit und ein Fokus auf Nachhaltigkeit leider noch viel zu selten in den aktuellen Debatten, Gremien und Entscheidungs­strukturen zum Struktur­wandel wieder. Die Chance für Weichenstellungen in Richtung sozial-ökologischer Entwicklungen könnte we­sent­lich inten­siver genutzt werden und zentrale Entscheidungsgrundlage sein. Dies fo­rmuliert auch das Bündnis StrukturWandeln in seinem kürzlich vorge­legtem Positions­papier „Zivilgesell­schaft in die Gestaltung der Zukunft einbe­ziehen“.8

Das Projekt „RevierUPGRADE“

Auch wir als UfU sind gemeinsam mit der BUNDjugend aktiv geworden und schaffen in unserem Projekt „RevierUPGRADE. Wir.Jetzt.Nachhaltig“ diverse Angebote zur Bildung und Beteiligung im Themen­komplex Struktur­wandel – von aufsu­chen­den Lastenrad-Mitmach-Aktio­nen über Workshops und Exkursionen zu Orten des nachhaltigen Wandels bis hin zu einem Coaching-Programm zur Qualifizierung bereits Aktiver werden junge Leute im Alter von ca.14-27 Jahren angesprochen. Aktiv sind wir sowohl in der Lausitz, als auch im Mitteldeutschen Revier mit den örtlichen Schwerpunkten in Halle, Leipzig und Cottbus. „Revier­UPGRADE“ wird gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Natur­schutz, nukleare Sicherheit und Verbrau­cher­schutz (BMUV), im Rahmen des Förderprogramms Kommunale Modell­vorhaben zur Umsetzung der ökologischen Nachhaltigkeitsziele in Struk­tur­wandel­regionen (KoMoNa), Förder­kenn­zeichen FKZ 67KMN020A.

 

Autorinnen und Kontakt:

Alina Beigang,
wissenschaftliche Mitarbei­terin am UfU e.V.,
Fachgebiet „Klima­schutz & Transformative Bildung“,
alina.beigangufude

Larissa Donges,
Fachgebietsleiterin „Kli­ma­­schutz & Transformative Bildung“ am UfU e.V.,
Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstands (Sprecherrat) der ANU,
larissa.dongesufude

www.ufu.de

 

Weitere Informationen:

www.ufu.de/projekt/meifair-mein-gruen-faires-revier

www.bundjugend.de/projekte/revierupgrade-wir-jetzt-nachhaltig

 

1 Vgl. www.volker-quaschning.de/datserv/Kohle-in-D/index.php (zuletzt aufgerufen 25.07.2023)
2 Vgl. www.kurzelinks.de/Beteiligungsrechte (zuletzt aufgerufen 25.07.2023)
3 www.kurzelinks.de/Jugendstrategie (zuletzt aufgerufen 25.07.2023)
4 www.antonia-mertsching.de/kinder-und-jugendbeteiligung-ist-die-antwort-auf-den-strukturwandel-jugendquote-fuer-strukturwandel-124 (zuletzt aufgerufen 25.07.2023)
5 https://mission2038.de/ (zuletzt aufgerufen 25.07.2023)
6 www.kjr-lsa.de/2021/02/02/jugend-macht-nachhaltigkeit-positionen-junger-menschen-zum-thema-nachhaltige-entwicklung-in-sachsen-anhalt/ (zuletzt aufgerufen 25.07.2023)
7 https://jufona-brandenburg.de (zuletzt aufgerufen 25.07.2023)
8 https://struktur-wandeln.de/wp-content/uploads/2023/06/2023-06-07_Positionspapier_StrukturWandeln_2023.pdf, (zuletzt aufgerufen 25.07.2023)