Mit Bestimmungs-Apps Artenkenntnis und Bewusstsein für die biologische Vielfalt fördern – geht das?

Ein Bereich, in dem immer mehr analoge durch digitale Medien ersetzt werden, ist die fotografische Artenbestimmung per App. Vor dem Hintergrund des „Aussterbens der Artenkenner:innen“ (Frobel, Schlumprecht, 2016) ) erscheint hier auf den ersten Blick ein Weg gefunden, dem zumindest etwas entgegenzuwirken. Genauer betrachtet braucht es aber doch ein wenig mehr, was zumindest einige der Apps bieten. Diese in unterschiedlichen Umweltbildungsangeboten auszuprobieren, ist spannend und kann eine sinnvolle digitale Bereicherung sein.

„Ich hab da eine App, das geht ganz schnell.“ ist ein Zitat von Schüler*innen, welches im (mobilen) Umweltbildungsalltag normal geworden ist, wenn es darum geht, die gesammelten Tiere und Pflanzen zu bestimmen. Es ist erfreulich, dass in Zeiten schwindender Artenkenntnis durch digitale Medien mehr und vor allem auch jüngere Menschen Interesse an der Arten­be­stimmung haben. Das im vorhe­rigen Artikel vorgestellte SAMR-Modell macht jedoch deutlich, dass es eines über­legten Einsat­zes der App bedarf, um einen didaktischen Mehrwert und echten Wissens­zu­wachs zu erzeugen. Den Aus­tausch eines Bestim­mungs­buchs durch eine App, bei der mittels Fotos schnell und scheinbar einfach ein Ergebnis vorliegt, vermeidet zwar Frustra­tion, die bei der langwierigen, müh­samen analogen Bestim­mung auf­kommen kann. Gerade letzteres schafft aber erst einen direkten Kontakt, unmittel­bare Natur­erfah­rung und baut eine Bezie­hung auf – drei wesentliche Anliegen unserer Bildungs­arbeit. Weiterhin wird der Bestimmungs­weg delegiert, auto­matisiert und ist nicht nach­vollziehbar: Die Frage: „Was macht die Assel zur Assel?“ bleibt unbeantwortet. Es ist daher fraglich, ob die gleiche Art beim nächsten Auffinden ohne diese mediale Unter­stüt­zung wiedererkannt würde. Der Aufbau von Artenkenntnis ist bei einem substi­tutiven Einsatz von Apps inso­fern unwahrscheinlich.

Nachfolgend werden exemplarisch drei Apps vorgestellt, die nach dem SAMR-Modell das Potential haben, auf der dritten und/oder vierten Ebene angesiedelt zu werden und damit mehr Arten­kenntnis, aber auch Naturbewusstsein und -verständnis ermöglichen können. Alle drei Apps bein­halten Citizen Science-Op­tionen. Die Nut­zer*innen können durch eige­nes For­schen den Nutzen wissen­schaftlicher Me­tho­den und Arbeitsweisen besser ken­nen­lernen und verstehen. Ganz wichtig ist zudem: ihre Nutzung macht Spaß!

 Bodentierhochvier

Diese App lädt zum Erforschen der Boden­fauna ein, beinhaltet dazu jedoch keine fotografische Bestimmungsoption, sondern stellt vielmehr einen anspruchsvollen, digi­talisierten „klassischen polytomen Bestim­mungsschlüssel“ für Doppel-, Hundert­füßer und Asseln bereit. Die Frage: „Was macht die Assel zur Assel“ wird hier während des Be­stimmungs­vor­gangs nachvollziehbar. Das erfordert gewisse Vorkenntnisse und ist für Laien intuitiv nur bedingt zu bedienen. Am Ende steht ein umfassender Artensteck­brief, der auf der korres­pon­dierenden Web­seite ergänzt wird. Wird auf dem Be­stimmungs­weg bei einer Frage falsch ent­schieden, lässt sich einfach ein Schritt zurück­gehen und neu überlegen. Somit lenkt die App den Blick der Nutzer*innen und fördert den Aufbau von und vielleicht auch die Neugier auf mehr Detailwissen. Die Artensteckbriefe können auch direkt ausge­wählt werden, wenn denn der wissen­schaft­liche Name bekannt ist. Gefundene Arten können aus der App heraus direkt an die Senckenberg Gesellschaft, die die App betreibt, zur Überprüfung gemeldet werden.

 ObsIdentify

Hierbei handelt es sich um eine Bestim­mungs-App für heimische Pflanzen, Tiere und Pilze, die auch spielerische El­emente enthält. Die Funde können ent­weder direkt aus der App heraus foto­grafiert werden oder ein zuvor ge­machtes Foto kann importiert werden. Letzteres hat sich bewährt, da auch beim Artbestimmen per App genaues Hinschauen hilfreich ist und zu exakteren Ergebnissen führt. Die App kann aber noch mehr: Wer sich in der App (oder der korrespon­die­renden Webseite) regis­triert und seine Funde speichert, stellt die Daten Wissen­schaftler*innen für Aus­wer­tungen zur Ver­fügung. Sie fließen in be­ste­hende Er­fas­sungsprogramme ein und kön­nen zum Beispiel Hinweise über die Auswirkungen des Klima­wandels geben. Im Citizen Science­-Kontext lädt die App die Nut­zer*innen auch zu verschiedenen Cha­llenges ein. Nach dem Motto „Alle ge­gen alle – aber gemeinsam sind wir stark“ sind so schon einige Erstfunde von Arten außerhalb des eigentlichen Verbrei­tungs­raumes er­fasst worden. Ebenfalls lädt die App zu „Badges“ ein, d.h. für eine be­stimmte Anzahl gemeldeter Arten werden Sternchen ver­geben.

Dawn Chorus

Bei dieser App steht „Soundscaping“ vom morgendlichen Gesang der Vögel im Mittelpunkt, der über das integrierte Tool„Sonic Feather“ individuell in Kunst verwandelt werden kann. Entstanden im pandemiebedingten „stillen Früh­ling“ 2020, fordert die App insbe­sondere im Mai dazu auf, morgend­liche Vogelgesänge aufzu­zeichnen und die Daten dieses „akus­tischen Biomo­nito­rings“ hochzuladen. So ist seit­dem eine spannende weltweite Sound­map ent­standen, die aus der App angehört werden kann. Weiterhin bietet die App die Mög­lichkeit, bereits erkannte Vögel im eigenen Morgen­gesang zu erfassen, leitet zu möglichen Bestimmungshilfen weiter, hat aber nicht zum Ziel, unmittelbar Arten­kenntnis zu fördern. Vielmehr steht das ästhetische Naturerleben im Vordergrund, das nicht selten Neugier weckt und damit indirekt zum Wissenserwerb anregt.

Wer Interesse hat, sich über die Erfah­rungen mit Bestimmungs-Apps in der (mo­bilen) Umweltbildungspraxis und ähnlichen Themen auszutauschen, ist herzlich einge­laden, zum ANU-Arbeitskreis „BNE in der digitalen Lebenswelt“ dazu zu stoßen.

Literatur

Frobel, K., Schlumprecht, H. (2016) Erosion der Artenkenner. In: Naturschutz und Land­schaftsplanung 48 (4)

 

Autorin und Kontakt:

Stefanie Horn

NUA NRW, LUMBRICUS - Umweltbus

E-Mail: stefanie.horn@nua.nrw.de