Was macht Lola?

Citizen Science ,zu Deutsch „Bürgerwissenschaften“, ist die Zusammenarbeit von Wissenschaft und interessierten BürgerInnen in ganz unterschiedlichen Wissensgebieten und auf ganz verschiedenen Wegen. Eines haben sie gemeinsam: Bei diesen Kooperationen profitieren alle Teilnehmer.

Knapp 1500 Kilometer von Berlin entfernt hat Lola ihr Winterquartier bezogen. Es ist ihr erster Winter in Nordspanien, noch ist die junge Weißstörchin kein Jahr alt. Im Frühjahr 2014 ist sie in Radolfzell geschlüpft und wurde dort, ebenso wie ihre Geschwister, von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Ornithologie mit einem GPS-Sender ausgestattet. Dieser macht es möglich, dass Interessierte über die dazugehörige App Animal Tracker die Wanderungsbewegungen von Lola mit verfolgen können. Und, noch wichtiger: eigene Beobachtungen melden und Fotos übermitteln. Frisst sie gerade oder ruht sie sich aus? Ist sie alleine unterwegs oder interagiert sie mit anderen Störchen? Mit Hilfe dieser Beobachtungen lassen sich die Zugbewegungen der Tiere besser interpretieren und gegebenenfalls neue Erkenntnisse über ihr Verhalten gewinnen.


Etablierte Idee auf neuen Wegen
Eine solche Form der Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit engagierten Einzelpersonen oder der organisierten Zivilgesellschaft, zum Beispiel in Form von naturforschenden Vereinen, in wissenschaftlichen Projekten wie „Animal Tracker“ boomt in Deutschland derzeit unter dem Begriff Citizen Science  - zu Deutsch Bürgerwissenschaften – und erfährt verstärkt politische und mediale Aufmerksamkeit. An sich ist die Idee nicht neu, gerade im Bereich der Vogelkunde arbeiten wissenschaftliche Einrichtungen mit Hobby-Ornithologen schon seit Jahrzehnten erfolgreich zusammen.
Neu an der derzeitigen Entwicklung ist, dass durch digitale Tools wie Apps oder andere Online-Angebote die Zusammenarbeit auch über räumliche Grenzen hinweg organisiert werden kann und so jeder Interessierte die Möglichkeit hat, sich in die Projekte einzubringen. Die Aktivitäten sind vielfältig und heterogen: sie reichen von der Beobachtungen von Vögeln über die Erschließung, Digitalisierung und Auswertung geschichtlicher oder kunsthistorischer Quellen bis hin zur Entdeckung neuer Galaxien in den Tiefen des Universums.


Bürger schafft Wissen
Um diese Vielfalt aufzuzeigen wurde im April 2014  - gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Stifterverband für die deutsche Wissenschaft - die Online-Plattform www.buergerschaffenwissen.de vom Museum für Naturkunde Berlin und Wissenschaft im Dialog online gestellt: Hier können Projektinitiatoren ihre Citizen Science-Projekte vorstellen und zum Mitforschen einladen.  Über spezielle Filter kann jeder und jede Interessierte ein passendes Projekt suchen. Rund vierzig Projekte sind derzeit dort zu finden, es werden nahezu wöchentlich mehr.
Die Mitarbeit in den Projekten ermöglicht den Beteiligten und Interessierten einen Einblick in wissenschaftliches Arbeiten sowie in Methoden, Fragestellungen und Anwendbarkeit von Forschungsprojekten. Dies ist neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen selbst ein großer Pluspunkt von Citizen Science. Und es ist eine Chance, Wissenschaft und das Verständnis von und für Wissenschaft (wieder) stärker in der Gesellschaft zu verankern.


Chancen für die Umweltbildung
Auf der praxisorientierten Ebene ist Citizen Science daher auch ein Ansatz, der in der Umweltbildung einen Mehrwert verspricht, weil er Wissenschaft nicht nur erfahrbar macht, sondern konkret zu aktueller Forschung beiträgt. Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Ornithologie nutzen diesen Synergieeffekt sehr erfolgreich: Der Einsatz der App wird mit Workshops und sogar Jugendferienreisen auf den Spuren der Störchen verbunden, das hauseigene MaxCine-Zentrum für Kommunikation bietet Raum für Austausch und gegenseitiges Lernen. Auch andere Citizen Science-Projekte wie die Sensebox aus Münster oder  Natur im Wandel der Zeit setzen auf die  Einbettung ihrer Forschungsaktivitäten in schulische oder außerschulische Angebote.
Auf der strategischen Ebene wird Citizen Science aktuell in Zusammenhang mit einer Öffnung der Wissenschaft in Richtung Gesellschaft diskutiert. Die damit verbundenen Chancen und Möglichkeiten sind vielfältig und erstrecken sich von der Gewinnung großer Datenmengen bis hin zu einer breiteren Partizipation an der Lösung gesellschaftlich relevanter Probleme. Citizen Science erfordert und schafft eine neue Transparenz in Forschungsprozessen und ist damit ein Schritt in Richtung „Open Science“.


GEWISS: Chancen und Herausforderungen
Bei allen Chancen gilt es auch, zahlreiche Herausforderungen zu meistern. Allein die Beantwortung der Frage nach dem aktuellen Stand der Bürgerwissenschaften in Deutschland wird nämlich durch eine der großen Stärken des Konzepts, die eingangs beschriebene Vielfalt und Heterogenität, zu einer anspruchsvollen und wichtigen Aufgabe.
Um die bestehenden Herausforderungen anzugehen, einen umfassenden Kenntnisstand zu erarbeiten und die Potenziale der Bürgerwissenschaften im Dialog mit Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Medien zu erfassen, wurde das Projekt BürGEr schaffen WISSen – Wissen schafft Bürger (GEWISS) ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um ein Konsortium aus Einrichtungen der Leibniz- und Helmholtz-Gemeinschaft und ihren universitären und außeruniversitären Partnern, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für zwei Jahre mit finanziellen Mitteln ausgestattet ist und eng verzahnt mit der Online-Plattform arbeitet. Ziele des Projektes sind es, den Ansatz Citizen Science in einem partizipativen Prozess auf der strategischen und praktischen Ebene weiterzuentwickeln. Beispielsweise werden ein Leitfaden und Trainings-Workshops für Projekte entstehen, durch die sich Wissenschaftler und interessierte Bürger weiterqualifizieren können. Außerdem werden in der aktuellen Reihe Dialogforen Citizen Science relevante Fragen diskutiert, wie  notwendige Rahmenbedingungen zur Finanzierung und Förderung solcher Projekte, die Sicherstellung der Datenqualität als auch die grundsätzliche Gestaltung partizipativer Prozesse. Die Ergebnisse sind die Grundlage für die Ausarbeitung der Citizen Science Strategie 2020.  
Zum Mitmachen möchten wir Sie ganz herzlich einladen: Ob Sie den Spuren von Lola folgen, in anderen Citizen Science-Projekten mitarbeiten oder sich in den politischen Diskurs um Citizen Science einbringen – Sie sind herzlich willkommen, sich auf der Online-Plattform www.buergerschaffenwissen.de über Projekte und Veranstaltungen zu informieren oder direkt mit uns Kontakt aufzunehmen.

Wiebke Rettberg und David Ziegler sind Redakteure der Online-Plattform und Teil des Konsortiums BürGEr schaffen WISSen – Wissen schafft Bürger (GEWISS).