Erlebe Dein Leben: Erlebnispädagogik im Boom

Erlebnisorientierung heißt das Schlagwort der Zeit. Gerade in der Risikogesellschaft, die so viel Wert auf Sicherheit legt, sind kalkulierte Risiken an der Grenze des Erlaubten ein Erlebnis. Erlebnispädagogik meint Radtouren, Zeltlager, Fahrten usw., bei denen sich die Umgebung und die Strukturen erheblich vom normalen Alltag der Jugendlichen unterscheiden. Grenzerfahrungen in der Gruppe sollen ein besseres und nachhaltigeres Verstehen von Gruppenkonflikten ermöglichen. Konfrontation, Konflikt und Kontrast führen zur Horizonterweiterung, indem man sich in neue Lebensfelder hineinbegibt. Erlebnisse sind "in" - Anbieter von Erlebnissen können mit vollen Kassen rechnen. Die Pädagogik schwimmt auf dieser Welle mit. Die "Erfinder" der "Erlebnispädagogik", die auf die Reformpädagogik zurückgehenden Schulen von Outward-Bound, erfreuen sich großen Zuspruchs ihrer Kurse. So entwickelt sich eine neue Pädagogik, die für sich in Anspruch nimmt, eine Teildisziplin der Erziehungswissenschaften zu sein, mit einem eigenen Institut, Bundesverband, Publikationsreihe, Tagungen - und einer Art geistigem Copyright.

"Outward Bound - Deutsche Gesellschaft für Europäische Erziehung e.V." verfolgt seit den 50iger Jahren das Konzept des Reformpädagogen Kurt Hahn und versteht sich als professioneller Anbieter ganzheitlicher Lernkonzepte an der Schnittstelle von beruflicher Bildung und sozialem Lernen. Durch den Nachweis wissenschaftlich abgesicherter Wirkung erwächst der verbandlichen Jugendarbeit beim Kampf um die (knapper werdenden) Fördertöpfe eine immer stärker werdende Konkurrenz. 40 Einrichtungen weltweit und 6 exklusive Häuser in Deutschland - alle in besonderen Naturlandschaften - bieten authentische Erlebnisse und Ernstsituationen als Kurse für junge Leute. Eine Zusatzausbildung (ZAB) nach dem Baukastenprinzip beinhaltet qualifizierte Ausund Fortbildungsmöglichkeiten für Multiplikatoren (Grundlehrgang: 3 Kurse, insg. 24 Tage für ca. DM 2500,-). Vereine und Vereinigungen aller Art entdekken diese Kurse für die Aus- und Fortbildung ihrer Fachkräfte: Alpenverein, Landeszentrale für Gesundheitsförderung oder Kreisjugendring - sie alle hoffen auf neue Impulse für ihre Arbeit. Doch auch Kritik kommt auf: Härte gegen sich selbst, Selbstdisziplin und Beherrschung negativer Gefühle stehen für eine typisch männlich-konservative Tugend und zeigen das unreflektierte Geschlechterthema und den damit verbundenen geheimen Lehrplan auf.

Überhaupt tut sich die "Erlebnispädagogik" mit negativen Erlebnissen schwer. Es besteht die Gefahr, daß durch den Zwang, Ziele immer positiv formulieren zu müssen, die "Erlebnispädagogik" sich einschränkt und den (hedonistischen) Erlebnishunger Jugendlicher zwar auf immer neue Art und Weise zu befriedigen versteht, aber mit diesem "Erlebnistourismus" am wahren Leben und seinen Problemen vorbeigeht. Nimmt man dieses Problem ernst, dann liegt jedoch gerade in dem herausfordernden Erfolg dieser selbsternannten Spezialpädagogik ein lohnenswerter Impuls auch für die Umweltpädagogik.

(Zusammengestellt nach einem sehr lesenswerten Aufsatz mit dem Titel "Alles was lebt, erlebt was" von Frank Düchting, erschienen in der Zeitschrift "Offene Spielräume", Heft 3/94, Bezug gegen DM 8,- beim Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze e.V., Haldenwies 14, 70567 Stuttgart, Tel: 0711/6872302 - Infos zu Outward Bound, u.a. die Zeitschrift "erleben und lernen", Spezial 1/1995, Lesebuch zur Fachtagung für Erlebnispädagogik, DM 19,50, Bezug: GBI, Fehrbelliner Str. 49, 10119 Berlin, Tel:030/4414520 und Outward Bound,-Zusatzausbildung-, Berghausstr. 1, 87645 Schwangau, Tel: 08362/98220)