Wie der Whole School Approach Grundschulen neue Wege zur nachhaltigen Schule eröffnet – in Hessen und bundesweit

Mathe, Sport, Deutsch und Musik, dazu Digitalisierung, Belastungen durch die Corona-Pandemie und kaum neues Personal – es passiert derzeit viel an Deutschlands Grundschulen. So viel, dass es oft nur wenig Raum und Zeit für Ansätze jenseits des Regelbetriebs gibt. Darunter leidet auch die Verankerung von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) im Grundschulbereich. Der Whole School Approach setzt dem etwas entgegen: Durch die systematische Einbindung der ganzen Schulgemeinschaft bei der Erarbeitung und Umsetzung des schuleigenen BNE-Konzepts wird nicht nur die Notwendigkeit von Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in den Köpfen der Schüler*innen verankert – Nachhaltigkeit wird zu einem gelebten Anspruch der Schulgemeinschaft und strahlt über diese hinaus. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche theoretischen Überlegungen dem Whole School Approach zugrunde liegen, wie er sich in der Praxis umsetzen lässt und welche Ansätze sich in der Beratung von hessischen Grundschulen bewährt haben.

 

Der Whole School Approach: ein erprob­tes Modell für neue Heraus­forderungen
Mobbing, Diversität, Mental Health, Gewalt – für viele Herausforderungen der schu­li­schen Bildungsarbeit fand das Konzept des Whole School Approach (WSA)in der Ver­gangenheit schon Anwendung. Und das nicht von ungefähr: die Einbeziehung der gesamten Schulgemeinschaft – von den Schüler*innen und Lehrkräften über die Hausmeister*innen und Eltern bis hin zur Schulleitung – ermöglicht es, auf effektive Weise Herausforderungen, die aktuell die Gesellschaft als Ganzes betreffen, im Be­wusstsein zu verankern und Lösungs­wege im Kontext Schule einzuüben. Anders aus­gedrückt: „Lernorte entfalten ihre volle Innovationskraft, wenn sie ganzheitlich ar­be­i­ten“1. Das gilt auch und gera­de für das Thema Nachhaltigkeit.

Der Whole School Approach als Aufgabe der ganzen Schule
Wenn sich eine Schule dafür entscheidet, den Whole School Approach umzusetzen, geht dies über das Aufgreifen von Nach­haltigkeitsthemen in verschiedenen Unter­richts­fächern hinaus. Der Anspruch ist um­fassender: die Schule und das Kollegium ver­stehen nachhaltige Entwicklung als Auf­gabe der ganzen Schule und binden da­her mehrere Aspekte der nachhaltigen Ent­wicklung strukturell verankert, auch über den Unterricht hinaus, im Schulalltag und Schulmanagement ein. Der schonende Um­­gang mit Ressourcen wird zum Leit­mo­tiv des Handelns im Schulbetrieb (z.B. beim Einkauf oder in der Kantine) und Ent­schei­dungsprozesse werden von der ganzen Schul­gemeinschaft getragen. Kurz­um: nach­­haltige Entwicklung wird im Ideal­fall bei allen Aktivitäten im und außerhalb des Unterrichts mitgedacht.

Den Whole School Approach umsetzen: was bedeutet das praktisch?
So eine Ausrichtung geschieht nicht über Nacht. Meistens ist es eine interessierte Per­son oder eine Gruppe von engagierten Lehrkräften oder Eltern, die den Impuls in die Schule tragen. Doch um den Whole School Approach umzusetzen, bedarf es des Engagements der ganzen Schul­ge­meinschaft, da neben der Kernaufgabe des Unterrichtens weitere Bereiche stärker in den Blick rücken.

Nachfolgende Beispiele geben einen Ein­druck über die vielfältigen BNE-Aktivitäten im Sinne eines WSA:

Bereich Unterricht

  • Unterrichtseinheiten zu Themen­gebieten der nachhaltigen Ent­wick­lung, wie z.B. nachhaltiger Konsum, Kakao und Schokolade, Mobilität, Naturschutz und kulturelle Vielfalt

Bereich Schulentwicklung

  • Fortbildungen zu BNE
  • Nachhaltigkeit als Haltung etablieren

Bereich Projekte

  • Flohmarkt organisieren
  • Nachhaltige Schulfeste

Bereich Ressourcenmanagement & Be­wirt­schaftung

  • Nachhaltige Papierbeschaffung
  • Bio-Caterer für Schulkantine

Bereich Partizipation & Wertschätzung

  • Abstimmungen zu Unterrichts­the­men im Klassenrat
  • Nachhaltigkeitswand in der Schule

Bereich Kooperation & Vernetzung

  • Zusammenarbeit mit außer­schu­lischen Bildungspartnern

Beispiel: Beratung an hessischen Grundschulen
Wie Grundschulen auf ihrem Weg zur nachhaltigen Schule mit einem umfas­senden Whole School Approach unterstützt werden können, zeigt derzeit eine erfolg­reiche Beratungstätigkeit in Hessen. Im Rahmen des Projekts „Schuljahr der Nach­haltigkeit“ des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (siehe Blickpunkt-Arti­kel) können sich hessische Grundschulen von externen BNE-Multiplikator*innen pro­zess­begleitend beraten lassen. Die Bera­ter*innen analysieren gemeinsam mit der Schulleitung, dem Kollegium und weiteren Mit­glie­dern der Schulgemeinde, wie bei­spiels­weise dem Elternbeirat und der Betreuung, wie die Schule zum Thema Nachhaltigkeit und BNE aufgestellt ist. In mehreren Workshops entwickeln sie dann einen Fahrplan, der der Schule Orien­tie­rung bei der Imple­mentierung eines Whole School Approach gibt.

Denn oftmals passiert an den Grund­schu­len im Bereich Nachhaltigkeit schon sehr viel, ohne dass dies deutlich wird. Eine ex­ter­ne Beratung hilft dabei, bereits beste­hende Initiativen und nachhaltiges Enga­gement sichtbar zu machen und Wege aufzuzeigen, diese Aktivitäten aus- und neue aufzubauen.

Dabei steht immer die individuelle Aus­gangslage jeder Schule im Mittelpunkt. Die Themen der Beratungen sind so vielfältig wie die Schulen selbst: Einige Schulen möchten beispielsweise ihren Schulhof als Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit BNE nutzen, diesen klimafreundlicher ge­stalten und in einen naturnahen Pausen- und Lernraum verwandeln. Andere Schu­len wollen wiederum stärker mit ihrem Umfeld zu Nach­haltigkeit in Kontakt kommen und setzen bei der Überarbeitung ihrer Homepage oder einer Kooperation mit der lokalen Presse an. Manche Schulen sehen in einer inten­siveren Zusammenarbeit mit Hort und Be­treuung die Chance, das Thema BNE auch nach Schulschluss zu verankern. Denn hier bietet sich abseits von Lehrplänen Freiraum für kreative Beschäf­tigungen, beispiels­weise beim Ein­richten einer Spielzeug­tauschbörse, einem Besuch im Unverpackt-Laden oder beim gemein­samen Upcycling von Kleidung.

Bisher konnten fast 40 Grundschulen in Hessen von dieser Form der Beratung profitieren. In den letzten zwei Jahren ist dabei deutlich geworden: Die Umsetzung eines Whole School Approach ist mit Coro­na noch viel anspruchsvoller geworden. Zentrales Element der Beratungen ist es, die verschiedenen Mitglieder der Schul­ge­mein­schaft zusammenzubringen – das war in der letzten Zeit natürlich nur einge­schränkt möglich.

Doch trotz dieser Herausforderung gehen die Grundschulen positiv aus dem Bera­tungs­prozess heraus. Viele haben nun bewusst einen Whole School Approach ein­geführt. Mehr noch: Trotz Pandemie haben es 17 hessische Grundschulen geschafft, für ihre vorbildlichen Leistungen im Bereich BNE als „Schulen der Nachhaltigkeit“ vom Hessischen Umweltministerium aus­ge­zeich­­net zu werden. Schulen, die als solche zertifiziert werden, haben nachgewiesen, dass in ihrem Schulalltag eine möglichst große Bandbreite der Themen nachhaltiger Entwicklung eine Rolle spielen. Wie das konkret aussehen kann, zeigen ein­drucks­voll die Videoclips der ausgezeichneten Grund­schulen im Rahmen der Auszeich­nungsfeier 2021.

Ausblick: Der Whole School Approach als Kern von Bildungslandschaften
Die Arbeit der Schulen trifft dabei einen Nerv: Im Bereich der BNE wird derzeit ver­stärkt das Thema Bildungslandschaften dis­kutiert. Bildungslandschaften bringen nicht nur die Schulgemeinschaft zum Thema Nachhaltigkeit zusammen, sondern binden darüber hinaus auf lokaler Ebene kommu­nale Einrichtungen, weitere Bildungsträger, Vereine, Verkehrsbetriebe und andere inte­ressierte Organisationen mit ein. Bildungs­landschaften sind somit logische Erwei­terungen von schulischer Beschäftigung mit nachhaltiger Entwicklung, sozusagen ein Whole School Approach, der über die Schule hinaus in die Kommune hinein­wächst. Der Whole School Approach kann für Kommunen so zu einer Keimzelle für eine verstärkte Beschäftigung mit nach­haltiger Entwicklung werden. Die Beratung für Grundschulen ist also nicht nur für die Schulen selbst, sondern für die gesamte Kommune eine lohnende Investition.

 

Literatur zum WSA

Reiner Mathar: Der Lernbereich Globale Entwicklung als Aufgabe der ganzen Schule. In: KMK/BMZ/Engagement Global (Hrsg.): Orientierungsrahmen für den Lern­bereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Ent­wick­lung. (2. akt. u. erw. Aufl.). Cornelsen, Bonn 2016.

Schools for Earth (2021): Whole School Approach. Ganzheitlicher Ansatz zur Schul­entwicklung:
https://www.greenpeace.de/publikationen/sfe_handreichung_wsa_210419.pdf

Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver­brau­cherschutz: Das Schuljahr der Nach­hal­tigkeit – Unterrichtseinheiten für die Grund­schule, Wiesbaden 2020:
https://www.hessen-nachhaltig.de /files/content/downloads/bne/sdn-2021/3-Broschuere.pdf

 

Autorin und Kontakt:

Carmen Maier, ANU Hessen e.V.

Projektkoordinatorin Schuljahr der Nach­hal­tig­keit im Auftrag des Hessischen Um­weltministeriums

carmen.maier@anu-hessen.de

 


1www.kurzelinks.de/WholeInstitutionApproach