Themenwanderungen im Naturpark Dübener Heide - Ein Beitrag interkultureller Kommunikation

Im Oktober 2019 führte die Iranische Gemeinde in Deutschland (IGD) in Kooperation mit dem Naturpark / Verein Dübener Heide (VDH) eine zweitätige BNE-Themenwande¬rung im Naturpark Dübener Heide mit 30 Teilnehmenden durch (Geflüchtete, Migranten, Mehrheitsgesellschaft). Die Wanderung mit dem Titel: „Wald und Klimawandel in der Dübener Heide: Eine Wanderung durch Erlebnis- und Konflikträume“ war Teil des von der Iranischen Gemeinde durchgeführten Wertedialogprojektes „Deine Werte – Meine Werte – Unsere Werte“.

Hintergrund
Die IGD will, neben migrantischen Schwerpunktthemen, wie u.a. der Stärkung von Integration und Partizipation, der Schaffung besserer Beteiligungsmöglichkeiten für Migrant*innen und der interkulturellen Öffnung von Politik und Verwaltung, verstärkt auch postmigrantische Themen besetzen und zur Sensibilisierung für Natur- und Umweltthemen in den migrantischen Communities beitragen.
T. Reinsch erprobt als Umweltsoziologe für den VDH im Rahmen von Naturschutzthemen BNE-Bildungsformate zur Thematisierung von Werten, Normen und Konflikten. Zentral sind dabei „Die Sicht der Anderen“ sowie Perspektivenübernahme und Wertereflexionen. Denn „Natur“ ist ein Kulturkonzept und Natur-, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sind notwendig widersprüchliche Konzepte: In ihnen geht es um das Abwägen im Dreiklang „Werte, Normen, Güter“, um das kommunikative Austarieren von Vorstellungen über Dauerhaftigkeit und Veränderung, über das, was im wertenden Sinne als Natur verstanden wird.
Sowohl das Erfassen der verschiedenen Sichtweisen, wie deren gerechter Ausgleich, bedarf einer ständigen kommunikativen Anstrengung. Dies kann im Rahmen von Naturschutzthemen – auch nutzbringend für andere gesellschaftliche Bereiche – geübt werden. Hierzu zählen die interkulturelle Öffnung, die Sensibilisierung für andere kulturelle Orientierungen und Werte. Diese bestehen nicht nur zwischen Migrant*innen und der Aufnahmegesellschaft, sondern auch zwischen Stadt und Land, Tourist*innen und Naturschützer*innen, Schäfer*innen und Wolfsfreund*innen, Jäger*innen und Veganer*innen etc.
Auch beeinflussen die durch Wald und Flur geprägte Landschaft und die mit ihr verbundenen Naturvorstellungen das kulturelle Selbstverständnis der Menschen. Sie sind eine wichtige Orientierung für Identitäts- und Heimatvorstellungen. Und anders herum: Diese Vorstellungen prägen die regionalen Wahrnehmungen von „Natur“, wie sie aussehen und bleiben soll. Sie prägen die Auseinandersetzung darüber, wie Menschen zusammenleben möchten. Darüber hinaus sind Klima- und Umweltfolgen selbst ursächlich für das globale Migrationsgeschehen.
Die Themenwanderung stellt daher einen Rahmen dar, in dem unterschiedliche Naturzugänge besprochen und komplexe Problemlagen sowie widersprüchliche Lösungsstrategien gemeinsam erkundet werden können. Sie ist ein Beitrag zu Auseinandersetzung mit dem Heimat- und Identitätsgefühl.

Struktur und Ablauf
Die abwechslungsreiche zweitägige Wanderung hatte eine Länge von 20 km und führte vorbei an Feldern, Wäldern, durch historischen Kohleabbau entstandenen Seen, an eiszeitlichen Formationen, alten Handelswegen, stillgelegten Bahntrassen und dörflichen Strukturen.
Die Themenwanderung war charakterisiert durch
1.    den umweltsoziologischen Ansatz,
2.    Streckenführung, Thema und Referent*innen,
3.    gemeinsames Essen und Trinken.

1. Der umweltsoziologische Ansatz bedeutet, dass die Themen durch Referent*innen besetzt werden, die vor Ort wohnen, ihre unterschiedliche Sicht der Dinge berichten und dazu als Expert*innen in ihrem Lebensumfeld angetroffen werden: Die Wandergruppe verabredete sich entlang der Route mit dem Bürgermeister, Landwirt, Forstexperten etc. in deren Wirkumfeld.
2. Die Streckenführung muss auch ohne thematischen Fokus als naturräumlich spannende Tour funktionieren. An- und Abfahrt, die physischen Anforderungen, Witterung und Jahreszeit müssen sorgfältig zielgruppengenau geplant werden. Eine touristisch gut funktionierende Tour, die Spaß macht, wird so zum Träger von Inhalt und gelungener Kommunikation. Auf die Streckenführung wird das Thema gelegt: Hier war es ein Waldgebiet, in dem sich die Themen „Wald und Klima“ aus unterschiedlicher Perspektive mit folgenden Fragen beleuchten ließen: Wie ist die zukünftige Klimaentwicklung? Was bedeutet das für Mensch und Natur vor Ort, für Wald- und Landwirtschaft? Welche historischen Hintergründe sind bedeutsam (z.B. Braunkohletagebau)? Was heißt das für den Klimaschutz, die -anpassung oder die Energienutzung in der Dübener Heide? Gibt es eine einheitliche Sicht, gibt es Konflikte?
Aspekte dieser Fragen wurden von den Referent*innen an insgesamt 13 Stationen thematisiert: Wir trafen u.a. Bürgermeister*innen, Ortschronist*innen, Land- und Forstwirte, Imker*innen, Gärtner*innen, Biberbetreuer, Naturparkleiter, Geographen/Geologen.
3. Essen und Trinken sind wesentlich für gelungene Kommunikation; sie sollten als Erlebnis geplant werden. In unserem Fall waren dies ein Picknick, ein Lagerfeuer am Waldsee, ein regionales Buffet im Waldhaus und einer Gutsscheune, zusammen mit Bürgermeister*innen und Referent*innen des Tages.

Zusammenfassende Ergebnisse

  • Durch das Kennenlernen zahlreicher Sichtweisen ergab sich für die Teilnehmer*innen ein vielschichtiges, aber auch widersprüchliches Bild der „Wahrheit". Es wurde deutlich, dass es auch in Naturschutzfragen und bei Schutzstrategien – selbst unter den Experten, etwa in Sachen Waldumbau, Biberschutz oder Naturschutzauflagen in der Landwirtschaft – keine einheitliche Auffassung gibt.
  • Die verschiedenen Positionen wurden im Rahmen der unterschiedlichen Interessen nachvollziehbar.
  • Gleichwohl scheint Natur- und Umweltschutz vielfach nur als Abwägung konfligierender Güter möglich.
  • Welche Ausschnitte der „Natur und Umwelt“ für die Akteur*innen/Referent*innen wesentlich sind –  so wurde deutlich –  ist standpunktabhängig und wird durch Grundüberzeugungen, Emotionen, Wert- und Heimatvorstellungen und durch kulturelle Orientierungen mitbestimmt.
  • Sowohl die verschiedenen Positionen, als auch die gut erkennbaren emotionalen und wertebedingten Bindungen der Referent*innen an ihren „Gegenstand“ lieferten den Teilnehmer*innen am abendlichen Lagerfeuer Anknüpfungspunkte für die Diskussion in der Gruppe.
  •  Die Themenwanderung stellte auch eine Gelegenheit dar, die Dübener Heide als freundlichen Ort kennenzulernen, an dem Verständnis und Verständigung gefördert werden konnte.
  • Ebenso wurde die kooperative Beziehung zwischen VDH und IGD gefestigt.
  • Unseres Erachtens nach sind Themenwanderungen in Großschutzgebieten geeignet, um niederschwellige Zugänge zu Reflexion und Diskussion unterschiedlicher Sichtweisen und Wertvorstellungen anzuregen und Toleranz und Verständigung zu fördern.

Weitere Informationen
http://iranischegemeinde.org/de/wald-und-klimawandel-in-der-duebener-heide-eine-wanderung-durch-erlebnis-und-konfliktraeume-2

Kontakt:
Dr. Torsten Reinsch
t.reinschnaturpark-duebener-heidecom