Nachhaltigkeit lernen in Gemeinschaft

Inmitten der globalen Urbanisierung bilden „Wahl-Familien“ vielerorts überschaubare, meist ländliche Siedlungseinheiten – nennen wir sie Ökodörfer oder intentionale Gemeinschaften. Diese Plätze heißen „Lebensbogen“, „Nature Community“ oder „Ökodorf Sieben Linden“. Sie sind einzigartig, und doch verbindet sie die Absicht, ein gutes und nachhaltiges Leben zu erfinden. Es entstehen kleine Paradiese, die als Best-Practice-Beispiele den Mainstream für eine Zukunftsvision begeistern wollen.

Die brennenden Fragen unserer Zeit kann niemand allein beantworten, und so steht die Aufgabe der Gemeinschaftsbildung ganz oben auf der Agenda der Ökodörfer. Ehrliche Kommunikation, partizipative Entscheidungsstrukturen, Persönlichkeitswachstum, Feedback-Kultur – das Zwischenmenschliche bildet die Basis und den Dünger für alles, was sich in den Projekten materialisieren will. Beispiele dafür sind Carsharing, Ökohäuser, Selbstversorgung mit Lebensmitteln, Komposttoiletten, nachhaltige Energie- und Wasser-Konzepte, regionale Wirtschaftskreisläufe, Tauschökonomie, selbst verwaltete Betriebe, naturnahe Geländegestaltung und vieles mehr.

Die BewohnerInnen sind zunächst einmal selbst oft Lernende. Experimentierfreude ist eine unverzichtbare Eigenschaft, ob im Biogarten, im Handwerks-Kollektiv oder im Seminarhaus-Team. Für einen tief greifenden sozial-ökologischen Wandel gibt es keine simple Blaupause. Besonders das soziale Lernen hat es oft in sich. Gruppenprozesse brauchen zuweilen Geduld, Toleranz sowie die Fähigkeit, Ambivalenzen auszuhalten. Ein neues WIR fällt nicht vom Himmel.

Hautnahe Erlebnisse und transformatives Lernen

Die Gesellschaft darf sich von diesen besonderen Orten und ihren Experimenten inspirieren lassen. Tage der offenen Türen, Führungen, Seminare, Workshops, Festivals, Konferenzen, Alternativschulen in privater Trägerschaft, Waldkindergärten, Jugendlager ... fast jede Gemeinschaft erschafft ihre Bildungsformate und macht sich zugänglich. Manche Ökodörfer organisieren Tagungshäuser mit umfangreichen Jahresprogrammen.

Permakultur, Garten, ökologisch Bauen, gesunde Ernährung, Selbsterfahrung, Körperarbeit, Tanz, Kommunikation und Gemeinschaftsbildung – die Themenpalette spiegelt gelebte Vielfalt wider. Neben der Weitergabe fachlicher Inhalte bekommt in den Ökodörfern das Immersionslernen einen hohen Stellenwert. BesucherInnen begreifen „das gute Leben“ im wahrsten Sinne des Wortes, indem sie dabei sind, ganzheitlich wahrnehmend eintauchen und an handfesten Orten, die von authentischen Akteuren gestaltet werden, mitleben. Nicht umsonst gehören Mitarbeits-Wochen zu den gefragtesten Angeboten. Gemeinschaft auf Zeit – so hautnah kann kaum ein schick designtes BNE-Curriculum berühren.

Nicht selten geht es „ans Eingemachte“. Viele BesucherInnen werden durch die „echten“ Eindrücke im positiven Sinne zutiefst irritiert und beginnen fast unwillkürlich, sich selbst und den eigenen Lebensentwurf bis ins Fundament zu reflektieren. Der Fokus dieses transformativen Lernens liegt also nicht vorrangig auf einem Zuwachs an Wissen und Kompetenzen, sondern auf Wandlungsprozessen des Selbst- und Weltbildes. In diesem Sinne nehmen die Lernenden aus einem Aufenthalt in einem Öko-Gemeinschaftsprojekt ihre ganz individuellen, oft überraschend weit reichenden Veränderungsimpulse mit – und hoffentlich jede Menge Schwung und Motivation.

Ökodörfer bündeln Bildung

GEN – das Global Ecovillage Network definiert ein Ökodorf als eine bewusst und durch partizipative Prozesse gestaltete Gemeinschaft, die durch lokale Besitzstrukturen geprägt ist und zur Wiederherstellung der sozialen und natürlichen Umwelt beiträgt. In den ganzheitlichen Ansatz sind die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit integriert. 15 Ökodörfer sind bisher in GEN Deutschland e.V. organisiert, und immer weitere Gruppen treten der vor vier Jahren gegründeten Organisation bei. Darüber spannt sich das weltweite GEN-Netzwerk mit Verzweigungen auf alle Kontinente. Des Weiteren gibt es unzählige Siedlungsprojekte und Initiativen sowie das Kommune-Netzwerk Kommuja.

Vorbehaltlich der Bewilligung durch das Umweltbundesamt startet im Mai 2019 das Vorhaben „GEN-Akademie“ im Rahmen des GEN-Projektes „Leben in zukunftsfähigen Dörfern“. Es wird eine Onlineplattform entstehen, welche die BNE-Angebote der Ökodörfer und verwandte Initiativen erstmals im Überblick darstellt. Mit dieser gebündelten Präsentation und einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit sollen neue Zielgruppen gewonnen werden. Besonders ländliche Gemeinden, die das Leben wieder zurück ins Dorf holen und die Dorfgemeinschaft zum Beispiel durch nachhaltige Projekte stärken möchten, sind Adressaten der GEN-Akademie.

Simone Britsch, Bildungsreferentin, Koordinatorin der GEN-Akademie, Yogalehrerin. Sie lebt mit ihrer sechsköpfigen Familie seit 16 Jahren im Ökodorf Sieben Linden.

Kontakt:
E-Mail: bildungsreferat@siebenlinden.org,
GEN Global Ecovillage Network: www.gen-deutschland.de